"Einhorn", der "neue Nowitzki" oder "PorzinGOD" - Kristaps Porzingis hat viele Spitznamen. Das ist für gewöhnlich ein gutes Zeichen - und eine Art inoffizielle Auszeichnung in der NBA. Dass dem Letten diese einmal zuteil werden würde, damit haben nicht viele Experten gerechnet.
25. Juni 2015, Barclays Center in Brooklyn, New York. Draft Night in der NBA. Dreimal war NBA-Commissioner Adam Silver bereits auf der Bühne, um zu verkünden, wen die Teams auserkoren haben. Beim vierten Mal lauscht das Publikum besonders gebannt. Es folgt eine überraschende Ansage vom Commissioner: "Mit dem vierten Pick im NBA-Draft 2015 wählen die New York Knicks Kristaps Porzingis."
Im nächsten Satz verkündet Silver noch, woher der frisch Gewählte kommt und wo er zuletzt Basketball spielte, doch all das geht unter im Pfeifkonzert der Knicks-Fans. Gnadenlos buhen sie den jungen Letten auf seinem Weg zur Bühne aus. Auch Tage später ist noch kein Frieden eingekehrt in der Stadt, die niemals schläft. Man sei von Teampräsident Phil Jackson "hinters Licht geführt, ja verarscht" worden, tobt unter anderem "ESPN"-Experte und Knicks-Anhänger Stephen A. Smith.
Schenkte man ihm und dem Gros amerikanischer Fachleute Glauben, so ist der blonde Schlaks nur ein weiterer Name auf der langen Liste der Knicks-Fehlgriffe. Doch wer ist Kristaps Porzingis eigentlich? In der Draft-Nacht ist über ihn noch wenig bekannt: 2,20 Meter groß, 19 Jahre jung und aufgewachsen in Lettland, "irgendwo" in Europa.
Dirks Highlights auf Youtube
Jeder Europäer ist im durchleuchteten Draft-System der NBA eine Unbekannte. Und nicht wenige kamen schon unter lauten Lobgesängen über den großen Teich, nur um letztlich zu enttäuschen. Porzingis ist sich der Bringschuld von der ersten Sekunde an bewusst: "Die Leute, die mich nicht kennen, denken vielleicht, ich bin weich. Ein Europäer, der Basketball mag. Da hat es ja schon vorher einige Pleiten gegeben. Ich bin anders."
Und tatsächlich macht er sich ohne Umschweife daran, seine NBA-Tauglichkeit unter Beweis zu stellen. Nach einem ordentlichen Debüt (16 Punkte in 24 Minuten) avanciert er zum ersten Rookie seit Tim Duncan, der 24 Punkte und 14 Rebounds mit sieben Blocks garniert. An einem Rekord von Knicks-Legende Patrick Ewing scheitert er nur knapp: Gegen die Chicago Bulls zaubert er 29 Punkte und zehn Rebounds auf das Parkett. Ein Punkt zu wenig für eine neue Vereins-Bestmarke.
Experten und Knicks-Fans ändern in der Folge ihre Meinung. Porzingis wird gleich dreimal zum Rookie des Monats gewählt und es hagelt Vergleiche mit NBA-Legenden wie Hakeem Olajuwon, Patrick Ewing oder Dirk Nowitzki. Letzterer ist ein großes Idol des Letten. "Ich bin online gegangen und habe mir auf Youtube Dirks Highlights angeschaut", schwärmt er vom blonden Deutschen.
Frustration über Knicks
Zwischen den Beiden hat sich mittlerweile eine Freundschaft entwickelt. Nach einem Spiel gegen New York adelte der Würzburger seinen Kontrahenten, sagte: "Für den Jungen gibt es nach oben kein Limit." Mehr noch: "Dirkules" sieht Porzingis im direkten Vergleich sogar im Vorteil: "Ich hatte als Rookie Todesangst auf dem Court. Er ist da schon ein ganzes Stück weiter. Wenn überhaupt sind die Vergleiche mit mir unfair für ihn."
Die Spielweise der beiden Ü-Zwei-Meter-Männer ähnelt sich stark. Beide lassen sich nicht strikt unter den Korb verfrachten, Scoren stattdessen mit Vorliebe von außen. "Im heutigen Spiel ist Spacing besonders wichtig", weiß Porzingis um den Nutzen eines sicheren Wurfes in der heutigen NBA.
Bislang allerdings kämpft der Lette im Big Apple auf verlorenem Posten. In seiner ersten und zweiten Spielzeit im Madison Square Garden gewannen die Knicks zusammengenommen gerade einmal 63 Spiele. Frustriert davon ließ er die Exit-Meetings der Franchise im April 2017 kurzerhand sausen. Laut NBA-Guru Adrian Wojnarowski war Porzingis überrascht davon, wie unprofessionell die Knicks-Führung agierte. Starke Worte von einem Youngster, der gerade einmal zwei Jahre in der besten Basketball-Liga der Welt auf dem Buckel hatte.
Lang lebe der König!
Immerhin: Teampräsident Phil Jackson ist seit diesem Sommer nicht mehr Teil der Organisation. Der "Zen-Meister", der als Trainer mit Michael Jordan und Kobe Bryant elf Titel gewann, hatte innerhalb der Mannschaft einen schlechten Stand. Er versuchte sowohl Superstar Carmelo Anthony (erfolgreich) als auch Porzingis (nicht erfolgreich) zu traden.
Nach seinem Abgang hoffen die Fans nun auf eine Zeitenwende unter ihrem lettischen Anführer. Die Bühne ist bestellt für den neuen König am Broadway. Und der zeigte zum Start der Saison gleich mal, wozu er fähig ist: In den ersten zehn Spielen scorte der Youngster (!) satte 300 Punkte. Ein Kunststück, das vor ihm noch keinem Knicks-Spieler gelang.
Wie konkurrenzfähig die Knicks schon diese Spielzeit sind, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Porzingis ist gerade einmal 22 Jahre alt - und lässt die stolze und in den letzten Jahren abgestürzte Franchise der Knicks trotzdem wieder von den Erfolgen vergangener Tage träumen. Das Potenzial dazu, so viel steht mittlerweile fest, hat der ehemalige Buhmann aus Lettland.
Simon Lürwer






































