Am 26. Oktober 1997 krönte sich Jacques Villeneuve zum ersten kanadischen Formel-1-Weltmeister der Geschichte. Der Titel für den Williams-Piloten bedeutete gleichzeitig eine der schwärzesten Stunden in der Karriere von Rekordchampion Michael Schumacher.
Das gesamte Formel-1-Jahr 1997 hatten sich der damals 26-jährige Villeneuve und der zwei Jahre ältere Schumacher ein packendes Duell um den WM-Thron geliefert. Zwölf der 17 WM-Läufe wurden jeweils von einem der beiden WM-Rivalen gewonnen, der Vorsprung auf die Konkurrenz war exorbitant.
Mit der hauchdünnen Führung von 78 zu 77 Punkten im Gepäck reiste der Ferrari-Star zum finalen Showdown nach Jerez, wo der abschließende Grand Prix von Europa anstand.
Schon im Qualifying wurde deutlich, wie eng die Verhältnisse am letzten Rennwochenende des Jahres waren: Sowohl Michael Schumacher als auch seine Williams-Konkurrenten Jacques Villeneuve und Heinz-Harald Frentzen fuhren im Qualifikationstraining auf die Tausendstelsekunde die gleiche Zeit - einmalig in der Formel-1-Geschichte. Weil Villeneuve die Zeit als erster der drei hinknallte, startete er von Pole Position
Schummel-Schumi provoziert Crash - und scheidet selbst aus
Trotz Startplatz zwei setzte sich Schumacher nach dem Start am Rennsonntag noch vor der ersten Kurve an die Spitze des Fahrerfeldes und führte den Grand Prix mehr als 45 von 69 Runden souverän an. Der erste Titel für die Scuderia Ferrari seit 1979 war greifbar für den Deutschen.
Zum Ende des mittleren Renndrittels verlor der WM-Leader jedoch immer mehr an Geschwindigkeit. Villeneuve hingegen holte stetig auf und setzte sich schließlich direkt hinter das Heck des Ferraris.
Schumacher wusste: Der Angriff Villeneuves, der nie als einer der talentiertesten, aber als einer der beherztesten Fahrer in der Formel 1 galt, würde kommen. Und er kam! In Runde 48 setzte der Kanadier im britischen Williams-Renault zu einem optimistischen Überholmanöver an.
In der Dry-Sack-Kurve zog er nach der Gegengeraden auf die Innenseite und schoss mit deutlichem Geschwindigkeitsüberschuss an Schumacher vorbei.
Schumi, der all seine Sieges- und WM-Felle davonschwimmen sah, zog rustikal nach innen und provozierte eine Kollision. Ein fast deckungsgleicher absichtlicher Crash hatte dem Deutschen schon 1994 gegen Damon Hill seine erste Meisterschaft beschert.

Erster Grand-Prix-Sieg für Mika Häkkinen
Doch diesmal kam es anders: Während Schumacher im Kiesbett landete, setzte Villeneuve seine Fahrt im nahezu unbeschädigten Boliden fort. Er fuhr die letzten Runden im Sicherheitsmodus mit der Gewissheit, dass ein Pünktchen zum WM-Gewinn reicht.
Die McLaren-Mercedes-Männer Mika Häkkinen und David Coulthard zogen noch vorbei und bejubelten den ersten Grand-Prix-Erfolg des Finnen, während Villeneuve als Dritter die karierte Flagge sah und Weltmeister wurde.
Der missglückte Crashversuch bedeutete im Moment des größten Karriereerfolg Villeneuves gleichzeitig die schwärzeste Stunde der Formel-1-Laufbahn Schumachers.
Für sein grob unsportliches Verhalten wurde der erfolgreichste deutsche Rennfahrer aller Zeiten nicht nur mit dem vorzeitigen Renn-Aus, sondern auch mit der Disqualifikation aus der kompletten Fahrer-WM bestraft - ein einmaliger Vorgang.
Villeneuve trocken: "Hätte Kurve ohne seinen Schubser nie gekriegt!"
Dass er Schlimmes angerichtet hatte, erkannte der siebenfache Weltmeister Jahre später auch selbst. Sein Ruf als "Schummel-Schumi" war verbreiteter denn je zuvor.
"Wenn es eine Sache in meiner Formel-1-Zeit gäbe, die ich ungeschehen machen könnte, würde ich Jerez 1997 wählen", sagte er 2010 auf einer Pressekonferenz.

Und der '97er-Weltmeister? Der bewertet die vielleicht legendärste Szene seiner gesamten Motorsportkarriere mit einigem Abstand sachlich trocken. Letztlich war er Schumacher sogar dankbar:
"Natürlich hätte ich die Kurve ohne seinen Schubser nie gekriegt. Aber ich dachte: 'Den überrasche ich jetzt! Er wird es wieder tun, wieder crashen.' Und dann hat er es tatsächlich gemacht! In der nächsten Runde sah ich ihn auf der Mauer stehen. Da habe ich gedacht: Ja, das war's!", erklärte Villeneuve 2012 in der "Auto Bild Motorsport". Wie Recht er doch hatte!
Mats-Yannick Roth