Raphael Holzdeppe hat sich als einziger deutscher Stabhochspringer für die Leichtathletik-WM in London qualifiziert. Bei Weltmeisterschaften feierte der 27-Jährige seine größten Karriereerfolge, wurde 2013 in Moskau Weltmeister und 2015 in Peking Vizeweltmeister.
Bei sport.de spricht der Zweibrückener exklusiv über sein großes Selbstvertrauen, das bisherige Auf und Ab und der Freiluftsaison 2017 und die starke internationale Konkurrenz für den Stabhochsprungwettkampf (Qualifikation am 6. August um 10:40 Uhr, Finale am 8. August um 19:35 Uhr)
Herr Holzdeppe, wie geht es Ihnen im Moment? Wie fühlen Sie sich so dicht vor dem Höhepunkt der Saison?
Raphael Holzdeppe: Ich fühle mich sehr gut! Mit dem Training hat alles perfekt funktioniert und wir sind genau da, wo wir sein wollten. Ich bin kräftemäßig bei 100 Prozent angekommen. Jetzt geht es darum, mit dieser Form auch im Olympiastadion von London aufzulaufen.
100 Prozent klingt optimal. Beziehen Sie das auf Ihre körperliche Verfassung, mentale Frische oder was genau?
Es ist dieses Gesamtpaket! Ich fühle mich körperlich wirklich sehr gut. Die Sprünge passen auch, auch wenn es in der bisherigen Saison etwas auf und ab ging. Auch im Training sind die Sprünge zuletzt sehr hoch gewesen. Ich bin sehr gut drauf!
Wo haben Sie die letzten Tage der Vorbereitung absolviert?
Nach dem Meeting in Monaco habe ich noch einige Tage in der Heimat trainiert, bevor es dann mit der Nationalmannschaft nach Kienbaum ins Trainingslager ging. Am Freitag bin ich dann nach London gefahren.
Nach dem Erreichen der WM-Norm [5,80 Meter, Anm. d. Red.] im Juni sind Sie unter anderem noch 5,60 Meter bei den Deutschen Meisterschaften und 5,70 Meter beim Meeting in Rabat gesprungen. Wie zufrieden sind Sie mit Ihren sportlichen Leistungen in der bisherigen Saison?
Mit den 5,70 Meter und dem zweiten Platz in Marokko war ich sehr zufrieden, weil es da Probleme mit der Fluggesellschaft und meinen Stäben gab und alles ziemlich stressig im Vorfeld war. Mit den 5,60 Meter bei den Deutschen Meisterschaften war und bin ich hingegen überhaupt nicht zufrieden. Da hätte ich viel höher springen können! Ich habe da am Ende eine Fehlerentscheidung getroffen, was den Ständerabstand betrifft und habe die Latte beim Herunterfallen doch noch leicht touchiert, obwohl ich die Höhe auf jeden Fall drin hatte. Das hatte mich in dem Moment sehr frustriert und aufgeregt. Nach ein paar Tagen habe ich dann das Gute darin gesehen: Die Form und die Höhe, wie ich mir sie zu diesem Zeitpunkt erhofft hatte, waren eigentlich da. Ich muss nur den richtigen Lattenabstand wählen, dann sind auch wieder richtig hohe Sprünge drin.
Ist das Thema Lattenabstand denn eine Baustelle, die sich wirklich so schnell beheben lässt? Oder ist es schwierig, diesen von Sprung zu Sprung zu variieren?
Den jeweiligen Abstand kann ich schon von Sprung zu Sprung verändern. Bei dem letzten Sprung bei der DM hatte ich mich leider um rund fünf Zentimeter verschätzt. Das führte dazu, dass ich die Latte noch gerissen habe. So etwas analysiert man im Anschluss an einen Wettkampf und versucht, seine Lehren daraus zu ziehen.
Die Siege bei den einzelnen Events haben aus Ihrer Sicht in diesem Jahr noch gefehlt. Dennoch wirken Sie sehr selbstbewusst. Woher nehmen Sie dieses Selbstvertrauen und diese Entschlossenheit?
Die Meetings sind zuletzt nicht so gut gelaufen, weil von außen so viele Störfaktoren hinzugekommen sind. Dass ich zum Beispiel in Monaco mit anderen Stäben springen musste, weil es auch hier Probleme mit der Fluggesellschaft gab, hat das Ganze natürlich sehr schwierig gemacht. Am Anfang der Saison sind mir außerdem auch Stäbe gebrochen. Danach habe ich das Material gewechselt. Dann bin ich krank gewesen und habe eine Woche mit Fieber im Bett gelegen, was mich auch gutes Training gekostet hat. Mittlerweile passt das aber alles. Die Sprünge, die ich zeige, sind alle gut. Ich bin, was die WM angeht, super zuversichtlich. Ich bin bei allen Werten genau da, wo ich gehofft hatte zu sein.
Welche Höhe haben Sie sich für den Wettkampf in London als Ziel gesetzt?
Eine bestimmte Höhe habe ich mir nicht vorgestellt. Ich will versuchen, mein Ding so gut es geht durchzuziehen und auch auf die Sprünge der Konkurrenz zu reagieren. Die Lehren der letzten Weltmeisterschaften sind, dass man solche Wettkämpfe situationsabhängig annehmen muss. Ich bin vom Kopf her auf jeden Fall bereit, alle Höhen zu springen. Wir müssen dann natürlich schauen: Wie ist das Wetter? Wie sind die Bedingungen? Was zeigt die Konkurrenz?
Sie haben im Vorfeld bereits das Ziel ausgegeben, nach 2013 zum zweiten Mal Weltmeister zu werden. Setzen Sie sich damit nicht selbst zu sehr unter Druck?
Nein, das Ziel ist immer noch dasselbe. Ich weiß, dass ich die Form habe, um das Ding wieder gewinnen zu können. Bronze ist das Minimalziel. Darum bereite ich mich mental vor, sodass ich in der Lage sein werde, die 100 Prozent auch an dem Tag abliefern zu können.
Sam Kendricks aus den USA ist als Einziger in diesem Jahr bereits über sechs Meter gesprungen. Ist er der große Gold-Favorit für London?
Er ist auf jeden Fall derjenige, den es zu schlagen gilt. Alleine, wenn man sich die Vorleistungen in diesem Jahr anschaut. Er ist bislang am konstantesten von uns allen gesprungen. Bei ihm rechnen wir alle damit, dass er seine Form auch bei der WM abrufen kann.
Wer sind im Kampf um die Medaillen die weiteren Konkurrenten aus Ihrer Sicht? Geht es wieder um die üblichen Verdächtigen wie Piotr Lisek oder Renaud Lavillenie, die auch schon tolle Sprünge in diesem Jahr gezeigt haben?
In Ihrer Auflistung fehlt vielleicht noch der Pole Paweł Wojciechowski, der schon 5,93 Meter in diesem Jahr gesprungen ist. Insgesamt halten alle noch ein bisschen hinter dem Berg mit ihren Leistungen. Eine Weltmeisterschaft bei passenden Bedingungen kann darüber hinaus jeden Springer beflügeln, eine neue persönliche Bestleistung aufzustellen. Deswegen darf kein Springer, der es ins Finale am 8. August schafft, in irgendeiner Art und Weise unterschätzt werden!
Mit Gold 2013 und Silber 2015 lässt sich ohne Weiteres die Behauptung aufstellen, dass die WM Ihr Wettkampf ist. Da haben Sie Ihre großen Leistungen abgerufen - kommt Ihre Lockerheit vielleicht auch daher? Sie wissen, wie Sie mit der Drucksituation bei Weltmeisterschaften umzugehen haben...
Na klar, die letzten Weltmeisterschaften haben sensationell gut funktioniert. Generell gibt einem die Erfahrung, viele Meisterschaften absolviert zu haben, auch mehr Ruhe und Gelassenheit. Ich weiß, wie so ein Wettkampf ablaufen wird. Ich weiß auch, dass es immer wieder Überraschungen geben wird. Ich kenne ja auch das Stadion in London und weiß, dass die Zuschauer da sehr euphorisch und laut sind, was auch nicht bei jedem Wettkampf der Fall. Dementsprechend bin ich zuversichtlich, dass ich mich da gut drauf einstellen und vorbereiten kann.
Das Interview führte Mats-Yannick Roth

