Alexandra Wester startet neben Claudia Salman-Rath als einzige deutsche Weitspringerin bei der Leichtathletik-WM in London (Qualifikation am Dienstag ab 19:10 Uhr, Finale am 11. August ab 19:10 Uhr). Auch, wenn sie den deutschen Meistertitel in diesem Jahr um einen Zentimeter verpasste: Ihr großer Traum von der Sieben-Meter-Marke lebt weiter.
Mit sport.de sprach die 23-Jährige exklusiv über Ziele für ihre erste WM, den Blick auf die Konkurrenz und die Bedeutung der Leichtathletik in ihrem Leben.
Frau Wester, wie waren Sie zuletzt körperlich drauf? Sind Sie bereit für das Saisonhighlight in London?
Alexandra Wester: Ich fühle mich super! Die ersten zwei Wochen nach den Deutschen Meisterschaften waren sehr intensiv, wir haben sehr viel trainiert. So soll es auch sein, ich fühle mich bereit für die WM.
In welchen Bereichen haben Sie in den letzten Tagen und Wochen noch Ihre Trainingsschwerpunkte gesetzt?
Im Kraftraum haben wir die Explosivkraft forciert und dort viel gemacht. Natürlich haben wir auch weiter an meiner Schnelligkeit gearbeitet und zudem noch Mehrfachsprünge gemacht.
Lief alles beschwerde- und schmerzfrei?
Ich bin zum Glück beschwerdefrei geblieben. Klar, zwischendrin zwickt es mal hier und da, aber das ist ja normal. Ich konnte alle Einheiten wie geplant absolvieren und alles durchziehen.
Wie zufrieden sind Sie bislang insgesamt mit Ihrer Freiluftsaison in diesem Jahr?
Bisher läuft alles sehr stabil. Klar, der Ausreißer nach oben hat noch gefehlt, den ich jedes Mal haben wollte. Die absolute Leistungsspitze kommt hoffentlich erst jetzt noch.
Bei der DM fehlte Ihnen hinter Siegerin Claudia Salman-Rath lediglich ein Zentimeter zu Ihrem ersten Freilufttitel. Wie sehr hat Sie der zweite Platz von Erfurt geärgert?
Mit der Weite von 6,71 Meter war ich sehr zufrieden, vor allem auch mit der Konstanz im gesamten Wettbewerb. Auch die Sprünge, bei denen ich übergetreten war, waren eigentlich sehr stark. Dass es am Ende nur ein Zentimeter Unterschied war, ist natürlich sauärgerlich gewesen. In Bezug auf die WM hatte der zweite Platz aber vielleicht sogar einen Vorteil. Ich war dadurch in den letzten Wochen so fokussiert auf das Training, weil mich dieser eine Zentimeter schon wütend gemacht hat. Diese Aggression habe ich mit ins Training genommen. Ich habe mir selbst gesagt: Alles hat irgendwie seinen Sinn.
Ihre weiteren Konkurrentinnen Malaika Mihambo und Sosthene Moguenara sind in Erfurt hinter Ihnen geblieben. Spiegelte die DM insgesamt das aktuelle Kräfteverhältnis im Frauenweitsprung in Deutschland wieder?
Malaika war zuletzt lange verletzt. Dafür hat sie sich schon wieder super zurückgekämpft. Sossi [Moguenara, Anm. d. Red.] hatte auch viele sehr gute Sprünge dabei, die allerdings übergetreten waren.
Als wie groß haben Sie bei den Wettkämpfen in den vergangenen Wochen den Druck auf Sie persönlich empfunden. Es ging ja lange darum, sich überhaupt das Ticket für die WM zu sichern. Und die Leistungsdichte der deutschen Weitsprungfrauen ist ausgeglichen wie lange nicht...
Generell würde ich schon sagen, dass der Druck zuletzt sehr groß war. Ich hatte in dieser Saison zum Glück schon im ersten Wettkampf die WM-Norm geknackt. Aber gerade bei Deutschen Meisterschaften ist es schon so, dass wir vorher nie wissen, was passiert. Dafür sind die anderen einfach alle zu gut.
Nach ihrem Titel in der Halle ist zuletzt mit Claudia Salman-Rath auch draußen eine Konkurrentin Deutsche Meisterin geworden, die eigentlich aus dem Siebenkampf kommt. Wurmt Sie das als Spezialistin?
Ob Spezialistin oder nicht - auch jede Mehrkämpferin hat ihr Spezialgebiet. Ich komme ja ursprünglich auch aus dem Siebenkampf. Claudia war auch schon in der Halle super stark, und ich würde auch nicht sagen, dass sie sich jetzt völlig auf den Weitsprung fokussieren sollte. Die Gesamtbelastung, die sie durch den Siebenkampf hat, macht sie erst so stark. Das hat sie selbst auch schon gesagt.
Beim Blick auf das internationale Topniveau in Ihrer Disziplin fehlt Ihnen aktuell noch ein Stück von 20 bis 30 Zentimetern, um bei der WM vielleicht ganz vorne angreifen zu können. Halten Sie es denn für möglich, diese Lücke in London schließen zu können?
Ja. Ich habe mir schon die ganze Saison über vorgenommen, endlich die sieben Meter zu knacken. Es wäre einfach perfekt, wenn ich diesen Ausreißer in London habe.
Die sieben Meter sind also weiterhin Ihr großes Ziel. Gibt es da ein zeitliches Limit, was Sie sich gesetzt haben? Wie gehen Sie insgesamt damit um, dass diese bedeutende Schallmauer noch aussteht?
Ich mache mich nicht allzu verrückt wegen dieser Marke! Ich weiß, welche technischen Dinge ich erfüllen muss, damit diese Weite an der Anzeigetafel steht. Deswegen konzentriere ich mich vor allem auf die Technik. Ich habe mir aber schon gesagt: Dieses Jahr will ich die sieben Meter gerne knacken! Und sie werden auch geknackt, wenn die technischen Aspekte alle stimmen.
Beim Blick auf das Teilnehmerfeld der WM, vor allem mit der starken Konkurrenz aus den USA: Welche Platzierung ist für Sie in London möglich?
Meine Platzierung kann ich ja nie so recht beeinflussen. Das ist immer von den Leistungen der anderen abhängig. Ich konzentriere mich nur auf mich und auf meine Technik, um die bestmögliche Weite herauszuschlagen.
Gab es zuletzt Kontakt zu Ihren Kolleginnen aus dem Ausland oder treffen Sie erst vor Ort im Stadion wieder direkt aufeinander?
Ein bisschen Kontakt gab es schon. Ich habe öfters mit Shara Proctor und Jazmin Sawyers aus Großbritannien gesprochen. Bei der Shara und auch bei einigen anderen war es so, dass sie noch Verletzungen überstehen mussten. Insgesamt sind wir Weitspringerinnen echt alle sehr harmonisch miteinander. Das finde ich auch wichtig und cool.
Sie wirkten in der letzten Zeit seit der WM-Nominierung sehr glücklich und zufrieden mit sich und Ihrem Sport. Woher nehmen Sie diese Freude, die Sie auch sichtbar nach außen tragen?
Die Weltmeisterschaft bedeutet mir einfach sehr, sehr viel. Es ist immerhin meine erste Freiluft-WM! Die Leichtathletik ist mein Leben. Ich betreibe diesen Sport schon, seit dem ich sechs Jahre alt bin. Die Leichtathletik hat meinen Charakter geformt. Dank ihr bin ich zu dem Menschen geworden, der ich heute bin.
Was muss beim Wettkampf in London konkret besser laufen, damit es für Sie ein positiveres Ende gibt als 2016 bei Olympia in Rio? Damals war mit nur 5,98 Metern schon in der Qualifikation Schluss.
Ich habe die Saison 2016 natürlich reflektiert und musste einfach sagen: Zum Schluss ist mir da einfach die Luft ausgegangen. Ich habe einfach keine Körner mehr gehabt. Die Spitze war im letzten Jahr schon viel zu früh da. Zum Beispiel in Weinheim, wo ich die sieben Meter mit zu viel Rückenwind gesprungen bin.
Man muss die Spitze richtig setzen, das ist auch die Kunst. Ich denke, dass in diesem Jahr alles stabil und konstant gelaufen ist. Ich fühle mich richtig fit und meine Werte steigen noch. Wir haben die Spitze dieses Mal richtig gesetzt. Das ist der Unterschied in diesem Jahr!
Das Interview führte Mats-Yannick Roth