Es gab Zeiten, in denen schlotterten den Gegnern des SV Werder Bremen die Knie, wenn die Nachspielzeit begann. Auf fast schon magische Art und Weise gelang es den Jungs von der Weser regelmäßig, in allerletzter Sekunde zuzuschlagen.
Ob im Achtelfinale der Königsklasse gegen Juventus Turin, in der Champions-League-Qualifikation bei Sampdoria Genua oder im Abstiegsendspiel gegen Eintracht Frankfurt - die Grün-Weißen waren immer wieder in der Lage, den Lucky Punch zu landen. Fortuna war den Bremern jahrzehntelang hold, doch damit ist jetzt Schluss.
Zum dritten Mal in der laufenden Spielzeit haben Gnabry und Co. eine Bundesligapartie quasi mit dem Schlusspfiff verloren: Im September gegen Mainz (1:2), im November gegen Frankfurt (1:2) und nun in Augsburg (2:3), als Raúl Bobadilla das Team von Alexander Nouri in der 94. Minute ins Tal der Tränen schoss. Alles eine Frage des Glücks? Mitnichten.
Grün-Weiße Lernresistenz
Werder ist der einzige Klub, der im neuen Jahr noch keinen einzigen Zähler gesammelt hat. Und das, obwohl die Auftritte der Mannschaft stets gelobt wurden. Tatsächlich wirkt der Tabellen-15. stabiler als zu Saisonbeginn, bietet auch nominell übermächtigen Gegnern wie Borussia Dortmund und Bayern München Paroli. Allein: Wer nicht punktet, kann nicht vorankommen.
Die Krux beim SVW bleibt das dilettantische Defensivverhalten. In dramatischer Regelmäßigkeit verfällt die Bremer Abwehr einer Art Selbstzerstörungstrieb, der eine sportliche Weiterentwicklung im Keim erstickt. Beweis gefällig? In den vergangenen sechs Jahren kassierten die Nordlichter stets rund 60 Gegentore (61/58/66/66/65/65).
Ob Thomas Schaaf, Robin Dutt, Viktor Skripnik oder Bundesliga-Novize Nouri - kein Trainer machte die Schotten dicht. Derzeit stellt Werder schon wieder die löchrigste Abwehr der Liga (41), spielte zudem erst einmal zu null. Fußball-Deutschland fragt sich: Ist dieser Verein lernresistent?
Die Zeit der Ausreden ist vorbei
Wenn selbst der bislang so biedere FC Augsburg dreimal in einer Begegnung jubeln darf, ist über den Zustand der Bremer eigentlich alles gesagt. Die Ausreden der letzten Jahre zählen nicht mehr. Gebetsmühlenartig wurde der Umbruch als Folge der rigorosen Sparpolitik zitiert, um erhitzte Gemüter im Umfeld zu beruhigen. Doch seit Geschäftsführer Frank Baumann das Ruder von Thomas Eichin übernommen hat, ist der Verein finanziell in die Offensive gegangen.
Knapp 24 Millionen Euro hat Werder Bremen in Neuzugänge investiert, so viel wie nie zuvor. Die Bilanz: Ernüchternd. Viele Hoffnungsträger floppten, andere werden von Verletzungssorgen geplagt. Die dringend notwendige Stabilisierung der Hintermannschaft blieb letztlich aus.
Keine einfachen Bedingungen für Alexander Nouri, der personell wie taktisch seit seinem Amtsantritt nichts unversucht gelassen hat. Doch wer in 16 Partien als Chefcoach mickrige 16 Punkte holt, dem fehlen die Argumente. Performance okay, Ausbeute nicht - Werder im giftgrünen Bereich!
Wird die Wonderwall zur Klagemauer?
Noch können sich die schwer angeschlagenen Hanseaten der Unterstützung ihrer traditionell geduldigen Anhänger gewiss sein. Mit Recht, denn bei aller Kritik am Tabellenstand präsentiert sich das Team bislang als Einheit. Doch was, wenn die stetig wachsende Verunsicherung auf dem Platz überhand nimmt? Was, wenn Werder in die Abstiegszone rutscht?
Mit Aktionen wie "AlleZ Grün" (2013) oder "Green-White Wonderwall" (2016) hatten die Fans schon zweimal großen Anteil am Klassenerhalt, als sie den Bremer Osterdeich in der kritischen Phase in eine Hochburg des bedingungslosen Rückhalts verwandelten. Irgendwann wird indes auch an der Weser die Geduld aufgebraucht sein und die "Wonderwall" zur Klagemauer mutieren.
Heiko Lütkehus

























