Am Freitagabend (ab 17:45 Uhr) startet die DHB-Nationalmannschaft den Versuch, zum vierten Mal den WM-Pokal nach Deutschland zu holen. Beim letzten Titelgewinn vor zehn Jahren war Pascal Hens die feste Größe im linken Rückraum.
Der Welt- und Europameister spielte insgesamt elf Jahre lang für Deutschland, stand bei fast 200 Länderspielen auf der Platte. Im exklusiven sport.de-Interview spricht der Rückraumhüne der HBW Balingen-Weilstetten und TV-Experte über die Chancen der Sigurðsson-Truppe, das Debakel der Übertragungsrechte und die besondere Rivalität zu Frankreich.
Herr Hens, Freitagabend geht es gegen Ungarn für die deutsche Nationalmannschaft bei der WM in Frankreich los. Wie sehr sind Sie selbst als aktiver Handballer im WM-Fieber?
Pascal Hens: Ich freue mich als jahrelang aktiver Spieler natürlich auf unseren WM-Start, keine Frage. Leider werden wir die Spiele nur im Internet und nicht im Fernsehen sehen können, aber immerhin besser als gar nichts. Bei mir selbst geht jetzt in Balingen der Trainingsalltag auch wieder los. Da ist es dann eine schöne Abwechslung, sich selbst die Spiele der Nationalmannschaft anzugucken und da mitfiebern zu können.
Aufgrund der fehlenden TV-Präsenz droht es in diesem Jahr eine WM zu werden, die nur die ohnehin interessierten Handball-Fans interessieren wird. Im letzten Jahr schauten dem deutschen Team im EM-Finale bis zu 17 Millionen Menschen zu. Welchen Stellenwert hat eine gewisse öffentliche Präsenz während eines Turniers für die Aktiven, die in diesem Jahr fehlen wird?
Es wird definitiv so sein, dass du einen Großteil in diesem Jahr nicht erreichen wirst. Das ist natürlich sehr, sehr schade. Vor allem aufgrund der Leistungen, die in der letzten Zeit geboten wurden. Für den Sport ist es eine Katastrophe, das muss ich ehrlich sagen - auch als Aktiver. Ich werde mir die Spiele auf jeden Fall im Internet anschauen, aber das machen eben auch nur die Handballverrückten, die wirklich Bock darauf haben. Wir werden diejenigen nicht erreichen, die nicht extra den Weg ins Internet gehen. Das ist schon schade.
Unser DHB-Team tritt am Freitag zum Auftakt gegen Ungarn an. Danach warten noch Chile, Saudi-Arabien, Weißrussland und Kroatien. Wie stark schätzen Sie unsere Gruppe C ein?
Wir haben eine schwierige Auftakthürde, weil die Ungarn eine sehr unangenehme Mannschaft haben. Das ist aber vielleicht gar nicht schlecht, weil die Jungs dann direkt gefordert sind und direkt im Turnier drin sind. In so einem Spiel kannst du direkt mal einen rausknüppeln! Ich traue den Jungs auf jeden Fall ein gutes Ergebnis zum Auftakt zu. Danach kommen drei Spiele, die das deutsche Team klar gewinnen muss, bevor am Ende Kroatien kommt, die immer zu den Favoriten gehören.
Bei den Ungarn spielt kein Bundesligalegionär, dafür ein großer Block vom europäischen Top-Team aus Veszprém. Was erwartet uns gegen Ungarn?
Ungarn hat ein paar sehr kräftige Jungs dabei, die eine sehr stabile 6:0-Abwehr stellen. Im Tor haben sie vielleicht nicht ganz die Qualität wie wir in Deutschland, werden aber trotzdem viel Augenmerk auf die Defensive legen. Ähnlich wie wir haben sie einen sehr guten Innenblock. Wenn wir es schaffen, unsere Abwehr selbst gut hinzustellen und unser Spiel durchzuziehen, sind wir insgesamt denke ich stärker als die Ungarn und werden auch gewinnen.
Der DHB-Kader setzt sich größtenteils aus Europameistern zusammen. Hinzu kommen noch Heinevetter, Drux, Gensheimer und Wiencek, die im letzten Jahr nicht bei der EM dabei waren. Wie sehen Sie das Team aufgestellt?
Wenn ich höre, welche Namen noch dazukommen im Vergleich zur EM, ist das natürlich super. Trotzdem haben wir auch wieder ein paar Ausfälle, die uns durchaus wehtun. Ich bin selbst gespannt, wie die Situation auf Halbrechts vom Bundestrainer gelöst wird. Bisher ist da nur Kai Häfner gesetzt. Ich gehe aber schwer davon aus, dass Holger (Glandorf, Anm. d. Red.) im Laufe des Turniers noch dazu stößt, was der Mannschaft sehr gut tun wird. Einige andere Dinge muss man noch abwarten. Der Schicksalsschlag bei Uwe Gensheimer ist für ihn und das Team natürlich eine Katastrophe. Das so etwas kurz vor dem Turnier passiert, ist einfach tragisch. Uwe ist in meinen Augen der beste Linksaußen der Welt, wir werden ihn als Spieler und Kapitän dieser Mannschaft brauchen.
Wie von Ihnen bereits angesprochen ist die Position im rechten Rückraum bisher nur einfach besetzt. Kann so etwas gutgehen – ähnlich wie bei der EM, als Rune Dahmke als einziger gelernter Linksaußen im Kader stand?
Auf den ersten Blick ist es schon schwierig, nur mit einem Halbrechten so ein großes Turnier durchhalten zu können. Ich habe in den letzten Jahren glaube ich kein wirklich schlechtes Länderspiel von Kai Häfner gesehen, er hat immer funktioniert. Aber wie gesagt: Es geht um ein ganzes Turnier und nicht nur um 20 bis 30 Minuten pro Spiel. Es ist eine sehr hohe Belastung und die wird nicht Kai Häfner alleine tragen können. Ich glaube schon, dass er im Laufe des Turniers auch dankbar für Unterstützung wäre.

Holger Glandorf war zuletzt über zwei Jahre komplett raus aus der Nationalmannschaft, feierte im Testspiel gegen Österreich sein Comeback und dürfte wie erwähnt eine wichtige Alternative werden. Gab es nach Ihrem Rücktritt aus dem DHB-Team 2012 auch mal ähnliche Comeback-Gedanken?
Nein, das war nie ein Thema. Mein Rücktritt lief aber auch so, dass ich klipp und klar gesagt habe: Es ist vorbei. Ok, das hat Holger auch – man kann halt nie nie sagen (lacht). Es gab auf meiner Position aber auch nie das Bedürfnis, weil einfach alles gut funktioniert hat. Nach den über zehn Jahren für Deutschland hatte es irgendwann auch einfach gereicht. Für mich war das damals eine endgültige Entscheidung. Es war eine super Zeit und hat total viel Spaß gemacht in der Nationalmannschaft, aber es war einfach auch sehr viel und ich habe damals eigentlich nie frei gehabt. Ich war dann sehr froh, dass ich ab 2012 Zeit hatte, im Januar einfach mal was mit der Familie zu machen, auszuspannen und nicht immer nur Handball im Kopf zu haben.
Die letzten Testergebnisse gegen Rumänien und Österreich waren sehr stark – dennoch: Wo sehen Sie die größten Lücken im deutschen Spiel?
Die Chancenauswertung war nicht immer optimal. Es gab auch in diesen Spielen Phasen, in denen die Mannschaft nicht so gut gespielt hat. Ich glaube aber, das ist ganz normal in Vorbereitungsspielen. Das Team wirkte unter dem Strich in der Vorbereitung schon wieder sehr stabil und gefestigt. Die Europameisterschaft war nicht nur eine Eintagsfliege. Auch bei den Olympischen Spielen hatte die Mannschaft ihre Leistung schon bestätigt. Wir sind auf jeden Fall gut gerüstet für die ersten Aufgaben im WM-Turnier.
Gastgeber Frankreich gilt als Topfavorit vor eigener Kulisse. Teilen Sie diese Meinung und wen haben Sie noch auf dem Zettel stehen?
Frankreich ist zu Hause ganz klar der Topfavorit. Etwas dahinter sehe ich die Dänen als Olympiasieger, dann Mannschaften wie Spanien, Deutschland oder auch Kroatien – die üblichen Verdächtigen. Slowenien oder Katar zeigen auch immer wieder sehr gute Spiele, denen fehlt aber glaube ich die Konstanz, um am Ende ganz oben angreifen zu können.
Sie selbst haben die besondere Handball-Rivalität zwischen Deutschland und Frankreich mehrmals miterleben können. Was macht dieses Spiel, welches uns im Halbfinale erwarten könnte, zu etwas ganz Besonderem?
Es gab zwei Duelle bei der WM 2007, vor allem das Halbfinale war ein absolutes Kracherspiel. Das letzte Halbfinale bei Olympia in Rio haben die Franzosen dann leider knapp gewonnen. Es sind einfach immer heiße Duelle, gerade in den K.o.-Spielen. Da treffen immer zwei absolute Topmannschaften aufeinander. Da reden wir aber lieber erst drüber, wenn es wirklich soweit kommen sollte. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Zur Person: Der heute 36 Jahre alte Pascal Hens spielt seit 17 Jahren in der Handball-Bundesliga, hat es in dieser Zeit auf über 1500 Tore gebracht. Jahrelang war er das Aushängeschild des HSV Hamburg, ehe der Verein vor einem Jahr Insolvenz anmeldete und es Hens kurzzeitig nach Dänemark verschlug. Aktuell spielt "Pommes" wieder in der HBL, beim HBW Balingen-Weilstetten. Seine größten Erfolge: Weltmeister 2007, Europameister 2004, Champions-League-Sieger 2013, Deutscher Meister 2011
Das Interview führte Mats-Yannick Roth










