Eric Frenzel ist als Sieger der Gesamtweltcups 2013 bis 2016 der erfolgreichste Nordische Kombinierer der letzten Jahre. In dieser Saison will er den Titel zum fünften Mal in Folge holen und damit einen Weltrekord aufstellen. In seiner sport.de-Kolumne schreibt Frenzel exklusiv über die Weltcuprennen des Winters
Erics Einblicke: Flugschach - Muss man beim Skispringen denken?
Möglichst nicht, denn alles sollte so automatisiert sein, dass man seinen "besten" Sprung einfach nur abrufen sollte. Gedacht und analysiert wird aber in großem Umfang zwischen den Sprüngen, insbesondere wenn es nicht so läuft. Im zweiten Weltcup-Wettbewerb in Kuusamo wurde ich nur 27. beim Springen, was für mich selbstredend eine herbe Enttäuschung war. Das Sprungergebnis ist schlicht die Grundlage für alles und die Weltklasse ist in der Loipe so stark, dass allzu große Abstände nach dem Springen auch durch eine gute persönliche Laufleistung nicht so ohne weiteres kompensiert werden können.
Nach einem solchen Schanzen-Desaster verbringt man viel Zeit mit den Trainern am Bildschirm, um den Sprung in seinen Komponenten zu betrachten und Ableitungen vorzunehmen. Analysiert wird dabei die Anfahrt zum Sprung, die Hocke, in der man tief sitzen sollte, der Absprung und die eigentliche Flugphase, in der man versucht, das Sprung-V schnell und symmetrisch zu stellen.
Immer wieder spulen wir das Band hin und her, um Fehler zu erkennen. Man muss bei meinem Sprung schon sehr genau hinschauen, um im Ablauf ein Defizit zu erkennen. Ähnlich wie beim Schachspielen versucht man sich hineinzudenken, welche Änderung an welcher Stelle welche Auswirkung auf den Sprung gehabt hätte.
"Einige Fragen nimmt man mit ins Bett"
Kein leichtes Unterfangen, wenn man zugleich im Hinterkopf haben muss, dass die Schanze in Kuusamo auf Grund ihrer Windanfälligkeit einem nicht immer die besten Bedingungen für einen Sprung beschert.
Die Hocke sieht eigentlich nicht schlecht aus, ich sitze tief und kann offensichtlich aus ihr auch eine gute Dynamik ziehen. Schauen wir auf den Absprung: Aus den Beinen muss man die Energie in den Rücken bekommen, der steif in der Luft stehen muss und den Flug quasi anschiebt. Ist der Rücken zu weich und zu rund, sind die optimalen Vektoren nicht gegeben und es verpuffen die Kräfte. Aber auch der Rücken sieht bei dem Kuusamo-Sprung nicht so schlecht aus. Über die Flugphase diskutieren wir am meisten. Steht das V schön symmetrisch? Ist der Zug über dem Ski? Geht der Ski gut zum Körper?
Äußerlich kann man denken, dass hier eine Optimierung denkbar ist? Aber woher rühren denn die Unregelmäßigkeiten, die bei diesem Flug sichtbar sind? Hat mir der Wind mein System mehr als gedacht durcheinandergebracht oder habe ich grundsätzlich keinen optimalen Ablauf? Einige offene Fragen nimmt man da schon mit ins Bett.
Am nächsten Morgen steht der Entschluss. Für Lillehammer verändere ich nichts am Sprung-und Flugsytem. Erst bei einem erneuten schlechten Ergebnis auf der Schanze, werde ich mich mit den Dingen ernsthaft auseinandersetzen.
Schlussendlich geben mir die Siege in Lillehammer recht – die Sprünge sind solide, ich kann doch vorne mit reinspringen und mir gute Startpositionen für die Loipe verschaffen. Gearbeitet werden muss daher nur an den Feinjustierungen – business as usual also.
Ich freue mich auf die nächsten Wettkämpfe!
Herzlichst, Eric Frenzel
Die Kolumne wird präsentiert von "eins energie in sachsen"
