Als sich Sophie Scheder nach einer langen Partynacht um vier Uhr morgens endlich zur Ruhe begab, durfte das wertvollste Erinnerungsstück an die Olympischen Spiele natürlich nicht fehlen.
"Ich habe die Medaille mit in das Bett genommen und ganz dicht neben mich gelegt", sagte die Bronze-Gewinnerin am Stufenbarren dem "SID": "Aber begreifen, was geschehen ist, kann ich immer noch nicht."
Den besten Wettkampf ihrer Karriere hatte Scheder am Sonntag gezeigt und damit sensationell Bronze gewonnen. Etwas Tristesse mischte sich allerdings in die Freude, ihre gute Freundin Elisabeth Seitz ging als vermeintliche Medaillenfavoritin leer aus.
"Das ist doch scheiße! Jetzt ist Elli Vierte", sagte Scheder nach dem teaminternen Finalkrimi und versprach: "Ich werde sie umarmen, drücken und tun, was nur geht. Aber es ist verdammt schwierig, da die richtigen Worte zu finden."
Seit kann sich für Scheder freuen
Mickrige 0,033 Pünktchen trennten die beiden besten deutschen Kunstturnerinnen - aber die Tränen einten sie. "Ich hätte es ihr auch gewünscht", sagte Scheder mit zittriger Stimme, und die geschlagene Seitz meinte fast zeitgleich: "Ich freue mich natürlich für Sophie."
Wahrscheinlich hätten nur zwei dritte Plätze Scheders Gefühlschaos aufgeräumt und die am Boden zerstörte Seitz getröstet. Dass es auf einen deutschen Zweikampf um eine Medaille hinauslaufen würde, hatte sich jedoch angedeutet - nicht erst, als im Finale zwei der ganz heißen Favoritinnen auf Edelmetall vom Gerät absteigen mussten.
Erst Ende Juni hatte die 19-jährige Scheder die drei Jahre ältere Seitz als deutsche Meisterin im Mehrkampf entthront. Seitz schnappte der Teamkollegin wiederum am Paradegerät den Titel weg. "Das sind beides Frauen voller Selbstvertrauen und Energie. Dass nun eine leer ausgeht, ist traurig. Aber so ist Olympia nun mal", sagte Bundestrainerin Ulla Koch.
Beide Schützlinge hätten sich "hart vorbereitet", versicherte Koch, die Stuttgarterin Seitz vielleicht noch einen Tick härter. Während Scheder am Tag vor dem großen Moment noch mit den Eltern durchs Olympische Dorf schlenderte, ging Seitz alleine in die Trainingshalle. "Jetzt fragt man sich: Warum eigentlich?", stammelte Seitz 24 Stunden später. Der Grund dafür baumelte wenige Meter entfernt - um Scheders Hals.
Endlich weltklasse
Und das wertvolle "Schmuckstück", immer wieder von der Besitzerin liebevoll befühlt, machte aus der zuweilen schüchternen Scheder fast einen neuen Menschen. "Jetzt kann ich behaupten, dass ich weltklasse bin", sagte sie: "Ich habe es allen gezeigt, die nicht an mich geglaubt haben."
Eine, die immer an sie glaubte, ist ausgerechnet Seitz. Die Teamkollegin war eine der ersten, die Scheder zu ihrem Coup gratulierten - ihre eigene Enttäuschung verdrängte sie tapfer. "Sie turnt toll", sagte Seitz, "und sie ist eine tolle Person."
Scheder bewies das abermals, als sie zu später Stunde nach dem Grund für den überraschenden Erfolg gefragt wurde. "Das ist meine Trainerin", sagte sie da wie aus der Pistole geschossen. "Ich werde ihr die Medaille auch umhängen. Weil sie genauso dafür gearbeitet hat wie ich, und ich ja eigentlich immer erst an die anderen denke."

