Radstar Tony Martin hat beim Zeitfahren der Olympischen Spiele ein Desaster erlebt. Beim eindrucksvollen Triumph des Schweizers Fabian Cancellara fuhr der dreimalige Weltmeister im Kampf gegen die Uhr weit an den Medaillen vorbei und erreichte nur einen enttäuschenden zwölften Platz.
Auf dem sehr berglastigen 54,5 Kilometer langen Kurs hatte Martin in einer Zeit von 1:15,33 Stunden stolze 3:18,33 Minuten Rückstand auf Cancellara, den der Cottbuser zu seinen besten Zeiten klar im Griff hatte. "Das ist nicht das gewohnte Zeitfahrbild, das ich von mir kenne. Ich bin überhaupt nicht in den Rhythmus gekommen", sagte Martin geknickt. "Im Moment bin ich wahnsinnig enttäuscht, aber das war es noch nicht", kündigte er anschließend an.
Dass ihn die Strecke wie zuvor angenommen benachteiligt habe, sah der Deutsche nach dem Fiasko trotz seiner Enttäuschung anders. "Ich muss mich revidieren, der Kurs war schon für jeden gleich. Das sieht man an Cancellara", gab der 31-Jährige zu.
Cancellara, Zeitfahr-Olympiasieger 2008 und viermaliger Weltmeister, fuhr bei schwierigen Bedingungen mit Wind und Regen in einer eigenen Liga. Silber ging an Tom Dumoulin aus den Niederlanden, Tour-Sieger Chris Froome aus Großbritannien fuhr zu Bronze. Simon Geschke wurde guter 13.
Das Rennen der Frauen gewann zuvor Radsport-Oma Kristin Armstrong. Einen Tag vor ihrem 43. Geburtstag holte die Spezialistin zum dritten Mal nacheinander olympisches Gold im Kampf gegen die Uhr - als erste Radsportlerin überhaupt. Als Gratulant trat der lebenslang gesperrte Doper Lance Armstrong auf, weder verwandt noch verschwägert mit der Siegerin.
Bei komplizierten Bedingungen mit teils nassen Straßen begann Martin gut, büßte dann aber schon im zweiten schweren Anstieg eine Menge Zeit ein. Der Lausitzer durchbrach den Bann damit auch beim wichtigsten Zeitfahren des Jahres nicht. Seit den Etappensiegen bei der Tour und der Vuelta 2014 hat Martin kein großes internationales Rennen in seiner Paradedisziplin gewonnen, Weltmeister war er zuletzt 2013. "Ich muss eben akzeptieren, dass ich zurzeit nicht absolute Weltspitze bin", hatte der Wahl-Schweizer vor dem Rennen gesagt.
Martin resigniert, Cancellara mit Freudentränen
Um 11:36 Uhr Ortszeit war Martin als viertletzter Starter auf die Rundstrecke mit vier schweren Anstiegen gegangen, direkt vor ihm der mitfavorisierte Cancellara. Der Lausitzer blieb zunächst einigermaßen in Schlagdistanz zum Schweizer, nach dem ersten schweren Anstieg fehlten 16 Sekunden. Martin unter seinem hellen Visier und dem grellorangen Helm fokussiert aus, doch er verlor zunehmend an Boden. Die Spitze geriet schon bald außer Reichweite, irgendwann schien Martin zu resignieren. Im Ziel ließ er den Kopf hängen, während Cancellara Tränen der Freude vergoss.
Von seinem Traum von Olympia-Gold hatte sich Martin bereits nach der ersten Streckenbesichtigung im Vorjahr verabschiedet, nachdem 2012 in London ein Kahnbeinbruch bei der Tour dazwischengekommen war und es dort für ihn "nur" zu Silber gereicht hatte. Der 31-jährige war regelrecht schockiert, als er den bergigen Kurs von Rio nach der WM 2015 gesehen hatte, entschloss sich dann aber trotzdem, die Herausforderung anzunehmen.
Martin hatte in diesem Jahr an Gewicht verloren und sein Klettertraining intensiviert, um in Rio konkurrenzfähig zu sein. Dazu arbeitete der Profi vom Team Etixx-Quick Step in den letzten Monaten beharrlich an Position und Material, um seine alte Zeitfahr-Verfassung zurück zu erlangen. Doch seit der großen WM-Enttäuschung 2015 mit Rang sieben war endgültig irgendwie der Wurm drin, dazu kamen Knieprobleme bei der Tour.





