Am größten Tag seiner Fußball-Geschichte hat Wales den Traum einer goldenen Generation zerstört. Gareth Bale und seine Drachen besiegten Belgien in einem packenden Viertelfinale mit 3:1 (1:1) und gehören völlig überraschend zu den vier besten Mannschaften in Europa.
Nach dem Scheitern der Roten Teufel, die als Titelanwärter in die EM gestartet waren, kommt es am Mittwoch im Halbfinale zum Duell der beiden Superstars von Real Madrid: "Bales" trifft in Lyon auf Cristiano Ronaldo und Portugal. Dabei muss Wales allerdings auf den zweiten Star seiner Mannschaft verzichten: Aaron Ramsey vom FC Arsenal handelte sich eine äußerst schmerzhafte Gelbsperre ein, ebenso wie Abwehrspieler Ben Davies.
Bei strömendem Regen vor 45.936 Zuschauern in Lille drehten die Waliser mit schierem Willen ein Spiel, in dem sie zunächst unter die Räder zu kommen drohten. Radja Nainggolan brachte Belgien in der Anfangsphase mit einem Schuss aus 28 Metern in Führung (13.). Danach aber gab die Mannschaft von Marc Wilmots das Spiel aus den Händen. Wales kämpfte sich durch einen Treffer seines Kapitäns Ashley Williams (31.) zurück, Hal Robson-Kanu düpierte die belgische Abwehr beim 2:1 (55.). Als der Favorit alles riskierte, traf Joker Sam Vokes (85.) zum Endstand.
"Das größte Match im walisischen Fußball"
Für Bale, seine Mitspieler und ganz Wales war es das Spiel des Lebens. "Das ist das größte Match im walisischen Fußball", hatte der Superstar vorab gesagt, größer also noch als das WM-Viertelfinale 1958 gegen Brasilien (0:1) in Schweden. "Wenn man im Viertelfinale steht, dann will man auch das Maximum erreichen", hatte Belgiens Nationaltrainer Marc Wilmots wiederum angekündigt.
Seine hochbegabten Spieler versuchten gleich die Worte des Trainers in Taten umzusetzen. Unterstützt von den vielen belgischen Fans schalteten die "Rode Duivels" ohne großes Abtasten gleich auf Offensive und hatten schon in der siebten Minute die große Chance zur Führung, als Yannick Ferreira-Carrasco, Thomas Meunier und Hazard hintereinander drei gefährliche Schüsse auf das Tor der Waliser abfeuerten.
Nainggolan belohnt belgischen Sturmlauf
So gut sie offensiv begannen, so wackelig standen die Belgier defensiv. Wilmots hatte seine Abwehr umbauen müssen, es fehlten Thomas Vermaelen (Gelbsperre) und Jan Vertonghen (EM-Aus wegen Knöchelverletzung). Wilmots ersetzte sie durch Jason Denayer und Jordan Lukaku, der damit erstmals bei dieser EM mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Romelu auf dem Platz stand. Somit bot Belgien die jüngste Startelf bei einer EM seit 1968 auf - aber eben auch eine unerfahrene.
Bei der anschließenden Ecke verpasste Romelu Lukaku nur um Zentimeter den Ball. Die Waliser waren in der Anfangsphase völlig überfordert mit dem hohen Tempo der Belgier. So fiel fast schon folgerichtig das Führungstor des Weltranglistenzweiten. Und es war wie schon beim 1:0 gegen Schweden in der Gruppenphase der Mittelfeldspieler Nainggolan, der mit einem fulminanten 25-Meter-Schuss aus der Distanz traf. Bei den Walisern hatte sich die Schussgewalt des Mannes mit dem Irokesen-Haarschnitt offenbar noch nicht herumgesprochen, sonst hätten sie ihn kaum so ungehindert schießen lassen.
Die Roten Drachen wachen auf
Das Gegentor war aber offensichtlich der Weckruf für die Mannschaft von Coleman. Plötzlich waren es die Waliser, die das Spiel an sich rissen und von Minute zu Minute sicherer wurden. Es entwickelte sich eine hochklassige Partie mit viel Tempo und zahlreichen Torraumszenen. Nach Befinden des belgischen Startorhüters Thibault Courtois sicher einige zuviel in seinem Strafraum. Nur einer Glanztat des Keepers vom FC Chelsea war es zu verdanken, dass Wales durch Neil Taylor nach Flanke von Aaron Ramsey nicht zum Ausgleich kam (26.).
Vier Minute später war es aber doch passiert. Eine ungewöhnliche Variante beim Eckball brachte dem vermeintlichen Außenseiter den Erfolg. Vier Waliser Spieler versammelten sich zu einem Pulk, ehe sie blitzschnell ausschwärmten. Die Belgier waren derart verwirrt, dass sie Williams nicht im Blick hatte, so dass der Kapitän nur noch einköpfen brauchte. Ein Trick, der kurz vor der Pause fast erneut zum Erfolg geführt hätte (43.).
In dieser Phase wurden die großen Personalprobleme der Belgier in der Defensive offensichtlich. War das Wilmots-Team bereits ohne die Leistungsträger Vincent Kompany und Nicolas Lombaerts nach Frankreich gereist, fielen für das Viertelfinale auch noch der gelbgesperrte Thomas Vermaelen und Jan Vertonghen aus. Für Vertonghen ist nach einem doppelten Bänderriss im Abschlusstraining das Turnier gar beendet. So mussten die beiden unerfahrenen 21-Jährigen Jordan Lukaku, der Bruder des Stürmers Romelu, und Jason Denayer als Verteidiger Nummer fünf und sechs auflaufen.
Robson-Kanu: Von Liga zwei in den Fußballhimmel
Sichtlich verärgert fuchtelte Wilmots ob der vielen Probleme mit den Armen an der Seitenlinie. Die Belgier hatten Glück, dass sie mit dem Unentschieden in die Kabine gingen. Denn Bale aus halbrechter Position (34.), Ramsey mit einem abgefälschten Schuss (42.) und Hal Robson-Kanu per Kopfball (45.) sorgten für ein deutliches Chancenplus.
Die 15-minütige Pause kam dem Favoriten gelegen, denn nach dem Seitenwechsel kam er mit neuem Schwung zurück. Mit einem Kopfball von Lukaku (47.) und einem Schuss von Hazard (50.) waren die Belgier der Führung wieder näher, doch es folgte nur fünf Minuten später der Schock. Nach Vorlage von Ramsey ließ Robson-Kanu mit einem feinen Trick gleich zwei Belgier aussteigen und anschließend auch Courtois keine Chance. Robson-Kanu ist ein gebürtiger Engländer und spielt für den Zweitligisten FC Reading.
Die Belgier antworteten in der Schlussphase mit wütenden Angriffen und Dauerdruck. Doch Vokes machte schließlich den K.o. perfekt.






