Der Countdown zu den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro hat längst begonnen. Bis zur Eröffnungsfeier am 5. August begleitet sport.de Olympiateilnehmer bei ihrer Vorbereitung auf den weltweiten Sporthöhepunkt 2016. Das sind "Unsere Rio-Reiser – die sport.de-Olympiavorschau!".
Zehnkämpfer Rico Freimuth steht unter großem Druck! Der Bronzemedaillengewinner der letzten Weltmeisterschaften in Peking hat bis heute sein Rio-Ticket noch nicht sicher - und es gibt nur noch eine letzte Möglichkeit! Warum der Hallenser trotzdem gelassen bleibt und wie er sich nach überstandenen Verletzungen derzeit vorbereitet, verrät der 27-Jährige im sport.de-Interview:
Sie haben sich zuletzt mit Schulterproblemen herumgeplagt und erlitten im Training einen Muskelfaserriss in der Wade. Inwiefern haben Sie diese Verletzungen in Götzis noch beeinträchtigt, wo Sie nach drei Fehlversuchen im Weitsprung früh draußen waren?
Rico Freimuth: Es war schon so, dass die Verletzung mich im Training fünf Wochen lang stark eingeschränkt hat. Aber es ist jetzt ok. Ich werde die nächste Zeit weiter hart trainieren, bevor wir wieder rausgehen. Dann bin ich startklar und habe sehr große Lust auf das Meeting in Ratingen.

Meine Trainingswerte waren für mich wirklich berauschend. Ich habe zum Beispiel 50,10 Meter Diskus geworfen, bin Trainingsbestleistung hochgesprungen und 100 Meter in 10,71 Sekunden gelaufen. Diese Trainingswerte waren alle besser als letztes Jahr, ich war insgesamt noch nie so gut drauf. Das hat mich total zuversichtlich gestimmt, nur die Belastungsverträglichkeit war noch nicht so da.
Aufgrund der Beschwerden fiel Ihnen Diskuswerfen, Kugelstoßen, Speerwerfen und Stabhochsprung schwer. Wie weit sind Sie in diesen Disziplinen aktuell?
Ich konnte in diesen Bereichen nicht viel machen. Wenn ich die Wurfdisziplinieren trainiert habe, war es von den Leistungen her ganz gut, aber es war halt sehr schmerzhaft.
Welche Disziplin im Zehnkampf liegt ihnen am meisten?
Dieses Jahr habe ich zwei Favorites entwickelt, in denen ich mich am meisten verbessert habe: Hochsprung und Speerwurf. Die machen mir im Moment am meisten Spaß. Meine allerliebste Disziplin ist der Diskuswurf, aber auch die Sprints über 100 Meter und 110 Meter Hürden liegen mir.
Und wovor haben Sie den meisten Respekt? Der 1500-Meter-Lauf zum Abschluss gilt nicht gerade als Ihre Paradedisziplin.
Auch hier war ich in den Trainings zuletzt eigentlich immer besser als in den Wettkämpfen. Es ist eine rein psychische Sache. Ich bin definitiv in der Lage, auch bei großen Meisterschaften schneller zu rennen. Es ist in dieser Disziplin eben nicht ganz so einfach als Abschluss eines zweitägigen Wettkampfes. Aber ich bin nicht so dramatisch schlecht über die 1500 Meter, wie immer alle denken!
Ratingen ist für Sie die letzte Möglichkeit, die Olympia-Norm zu packen. Da darf nichts mehr schieflaufen. Wie gehen Sie diese Aufgabe an?
Ich konzentriere ich mich total darauf und mag diese Situationen eigentlich. Ich bin insgesamt auch sehr minimalistisch muss ich sagen. Wenn ich diesen Druck nicht habe, fehlen häufig immer ein paar Prozent. Das ist in meinem gesamten Leben so, nicht nur im Sport. Theoretisch kann natürlich schon irgendwas Unvorhergesehenes passieren, aber ich bin sehr zuversichtlich.

Geplant ist noch ein Trainingslager in Belek in der Türkei. Anschließend will ich mich in meinem Heimatort Halle an der Saale vorbereiten. Ich bin auch ganz froh, dass wir es so machen und ich mich zu Hause vorbereite. Ich war die letzten Jahre so lange Zeit in Trainingslagern unterwegs, pro Jahr sind das zusammengenommen bestimmt drei Monate. Im Trainingslager ist man immer schon so fokussiert und kann nichts großartig anderes machen, da werde ich manchmal schon bekloppt.
An Meisterschaften wie der EM wollen Sie also nicht mehr teilnehmen?
Nein, ich habe in der letzten Woche auch offiziell auf den Start verzichtet. Rio steht total im Fokus. Wenn ich die Möglichkeiten habe, da um Medaillen mitzukämpfen, dann will ich auch alles danach ausrichten und alles dafür tun, mich in Rio top zu platzieren.
In wenigen Wettkämpfen in der Leichtathletik ist die Favoritenrolle so eindeutig verteilt wie bei Ihnen mit Ashton Eaton, der in Peking 9045 Punkte holte. Ist die Goldmedaille bereits vergeben?
Sie haben gewisserweise schon recht: Ashton Eaton hat schon einen gewissen Status, von dem man sagen könnte: Der ist eigentlich nicht zu schlagen. Jetzt kommt das "Aber": Wenn das so einfach wäre, dann hätten wir nicht jedes Jahr im Sport Überraschungen, mit denen im Vorfeld nie einer gerechnet hätte. Er ist auch nur ein Mensch und muss auch erst einmal durchkommen. Im Prinzip bin ich aber Ihrer Meinung: Wenn Eaton normal durchkommt, ist er eigentlich nicht zu schlagen, das muss ganz klar so festgehalten werden.
Ab welcher Platzierung würden Sie persönlich von zufriedenstellenden Olympischen Spielen sprechen?
Ich will in Rio unbedingt eine Medaille holen, das ist mein Ziel! Aber es wird wirklich schwer. Zum einen wegen der starken Konkurrenz. Zum anderen ist es sehr schwer, immer diese Leistungen abzurufen. Ich bin jetzt eigentlich ganz gut drauf. Aber damit ist es nicht getan. Ich muss gesund bleiben, an den Wettkampftagen eine super Form haben und so weiter. Wenn ich am Ende da stehe und mir nichts vorwerfen kann und meinen bestmöglichen Wettkampf abgeliefert habe, dann werde ich am Ende auch mit einem sechsten Platz zufrieden sein.
Sie waren 2012 schon in London dabei und wurden Sechster. Welche Erfahrung nehmen Sie mit nach Ihren ersten Olympischen Spielen mit?
Es ist einfach etwas ganz Besonderes. Wir Sportler müssen schon aufpassen, dass wir es mit diesem Umswitchen hinbekommen. Von diesen ganzen Massen an Menschen und Medien darf man sich nicht verrückt machen lassen. Da wirkt so viel auf einen ein – vor Ort gibt es in dieser Zeit nur noch das eine Thema. Da muss ich es schaffen, bei mir zu bleiben, die Gedanken zu kontrollieren und mich auf den Wettkampf zu fokussieren. Das habe ich in London ganz gut hinbekommen und das will ich auch in Rio wieder schaffen.
Der Zehnkampf gilt seit jeher als Königsdisziplin in der Leichtathletik – wie nehmen Sie die besondere Bedeutung des Decathlons war?
Wir haben einen großen Kampfgeist unter uns Athleten im Vergleich zu anderen Disziplinen. Ich habe damals auch mit dem Zehnkampf begonnen, weil es immer hieß: "Der Zehnkampfolympiasieger ist der König der Athleten!" Das fand ich immer sehr beeindruckend. Die Vielseitigkeit und diese große Anstrengung hat mich an meiner Sportart schon immer am meisten fasziniert.
Das Interview führte Mats-Yannick Roth
