Am Sonntag wartet das vierte Monument des Jahres auf die Radprofis. Seit 1892 wird Lüttich-Bastogne-Lüttich ausgetragen und deshalb "La Doyenne", die Älteste, genannt. Aus ihrer mittlerweile 124-jährigen Historie hat die alte Dame unter den Klassikern einige Geschichten zu erzählen. Sport.de stellt fünf davon vor.
1892 - 16 Stunden Qual
Die erste Austragung 1892 hatte es in sich: Die 250 Kilometer lange Strecke führte von Spa nach Bastogne und wieder zurück. Nur gut, dass der Wendepunkt in Bastogne an einem Bahnhof lag - dort stiegen die ersten Fahrer von ihren Rädern und nahmen lieber den Zug zurück zum Start- und Ziel-Ort. Doch der Belgier Léon Houa biss auf die Zähne und holte sich nach zehn Stunden und 48 Minuten den Sieg. Die Ehrung bekam der Letzte des Rennens nicht mehr mit - er brauchte ganze fünf Stunden länger, um das Ziel zu erreichen.
1957 - Händewärmen für Fortgeschrittene
Traditionell findet das Monument im April statt und der macht bekanntlich, was er will. Dementsprechend spielte das Wetter immer wieder eine entscheidende Rolle bei den Rennen von und nach Lüttich. So auch 1957: In der Nacht hatte es angefangen zu schneien, sodass sich schon ein Drittel der Fahrer gar nicht erst aus dem Bett zum Start bewegte. Noch heftiger fiel der Schnee während des Rennens, sodass die Fahrer kaum ihr Vorderrad sahen. Dazu kam der furchtbare Frost. Dem Franzosen Gérard Saint war so kalt, dass er seine Finger kaum spürte. Sein Gegenmittel: Er stieg ab und pinkelte sich auf die Finger. Zum Sieg verhalf ihm dieser Trick allerdings nicht.
1969 - Merckx in Gönnerlaune
Natürlich gehört auch der beste Fahrer aller Zeiten in eine Anekdoten-Sammlung von La Doyenne. Eddy Merckx hatte 1969 eines seiner erfolgreichsten Jahre mit Siegen bei Mailand-Sanremo und der Flandern-Rundfahrt. Ihm fehlte noch der Triumph in Lüttich, also machte er sich ungeachtet der Tatsache, dass schon zwei Teamkollegen in einer Ausreißergruppe unterwegs waren, auf den Weg zum Sieg. Schnell holte er Roger Swerts und Victor van Schil ein, doch Schwerts musste abreißen lassen. "Der Kannibale" Merckx und van Schil rasten auf das Ziel zu und Merckx - uneigennützig wie man ihn eigentlich nicht kannte - wollte seinem Kollegen den Sieg überlassen. Doch van Schil verzichtete und überließ Merckx den Triumph. Mit insgesamt fünf Siegen in Lüttich ist Merckx immer noch Rekordsieger.
1980 - Hinault opfert seine Finger für den Sieg
Bei bitterkalten Temperaturen schneite es auch 1980 beim ältesten Monument des Radsports. 80 Kilometer vor dem Ziel attackierte der Franzose Bernard Hinault nachdem er Bastogne passiert hatte. "Cyrille Guimard sagte mir, dass ich mein Renncape ausziehen solle, weil nun das richtige Rennen starten würde", sagte Hinault später. "Mein Cape war aus gewachstem Stoff und mir war sehr warm darunter aber ich ich zog es aus, wie mir gesagt wurde. Bis dahin hatte ich nicht wirklich auf das Rennen geachtet, aber jetzt klapperten mir die Zähne und ich hatte keinen Schutz. Ich entschied, das einzige was zu tun war, war so hart zu fahren wie ich konnte, um mich selbst zu wärmen." Durch seinen Husarenritt gewann Hinault das Rennen und grüßte laut Medienberichten auf den letzten Metern noch die Fahrer, die morgens wegen des Wetters im Hotel geblieben waren "wie ein General bei der Truppeninspektion". Doch den Sieg musste er mit Erfrierungen an den Händen bezahlen, drei Wochen konnte er seine Finger nicht bewegen: das Gefühl in einem Finger fehlt ihm bis heute.
2011 - Gilbert macht das Triple perfekt
In kurzen Abständen finden im Frühjahr auch die anderen beiden Ardennen-Klassiker statt: Das Amstel Gold Race und der Flèche Wallone fordern die Fahrer kurz vor Lüttich-Bastogne-Lüttich. Bis 2011 konnte in der langen Historie erst ein Fahrer das Triple aus allen drei Rennen gewinnen - dann kam der Belgier Philippe Gilbert. Nach seinen Siegen beim Gold Race und dem Wallonischen Pfeil war er auch in Lüttich Favorit. Zusammen mit den damals überragenden Schleck-Brüdern kämpfte er auf den letzten Kilometern um den Sieg. Während die Radsportwelt auf Frank und Andy schaute, setzte sich Gilbert ab und holte sich das bärenstarke Triple. Nebenbei sorgte Gilbert noch für den ersten "Heimsieg" eines Belgiers seit 1999. Ein historischer Tag in der langen Geschichte der "Alten Dame".
Florian Pütz





