Die unzähligen Paraden von Keeper Andreas Wolff, die traumwandlerisch sicheren Siebenmeter von Tobias Reichmann, die Blocks von Finn Lemke – die frisch gebackenen Handballeuropameister brachten ganz neue Stars hervor. Der Dauerbrenner im Team der "Bad Boys", wie sich die DHB-Meistermannschaft selbst nennt, war aber ein anderer. Der 22-jährige Rune Dahmke aus Kiel stand bei der EM in Polen von allen Feldspielern am meisten auf der Platte und steuerte insgesamt 23 Treffer zum Titelgewinn bei.
sport.de sprach exklusiv und ausführlich mit dem Linksaußen des THW Kiel über seinen Senkrechtstart seit letzter Saison, das Verhältnis zu DHB-Coach Dagur Sigurðsson und die nächsten Ziele bis zu den Olympischen Spielen.
Herr Dahmke, Sonntag EM-Finale, Freitag Allstar-Game, Mittwoch Heimspiel gegen Gummersbach – Langweilig wird Ihnen im Moment nicht, oder?
Rune Dahmke: Das stimmt! Wir haben den Titel natürlich ausgiebig gefeiert. Am letzten Mittwoch bin ich dann wieder in Kiel angekommen und habe am Donnerstag schon wieder zweimal trainiert. Jetzt steht das Allstar-Game an. So richtig zum Durchatmen kommt man im Moment nicht. Am Wochenende stehen direkt die nächsten Termine an, zum Beispiel der Ball des Sports am Samstag. In der Bundesliga geht's ja dann am Mittwoch schon wieder los.
Am Freitagabend sind Sie das erste Mal beim Allstar-Game in Nürnberg dabei. Welchen Stellenwert hat das für Sie persönlich, jetzt zu den festen Größen im deutschen Handball zu gehören?
Es ist schon überragend für mich! Vor weniger als drei Monaten hätte ich nicht einmal gedacht, überhaupt einmal in die Nationalmannschaft zu kommen. Dann bin ich mitgefahren, habe jedes Spiel mitgemacht und bin jetzt Europameister! Das ging fast schon ein bisschen zu schnell alles. Es war im ersten Moment alles noch etwas unwirklich, aber man nimmt das natürlich sehr gerne mit.
Sie sind bekanntlich mit sehr vielen Ausfällen in das EM-Turnier gestartet, unter anderem auch auf ihrer Position nach der Verletzung von Uwe Gensheimer. Wie war das für Sie, als klar wurde, dass Sie als Linksaußen bei der Europameisterschaft gesetzt sein werden?
Die Parallele zum Verein war da sehr extrem. In Kiel wurde ich nach der Verletzung von Dominik Klein auch ins kalte Wasser geworfen. Das Gefühl kannte ich daher schon ein wenig. Von daher war ich auch vorher schon guter Dinge, dass das auch funktioniert.
Was können Sie in diesem Zusammenhang zum Vertrauensverhältnis zwischen Ihnen und dem Bundestrainer Dagur Sigurðsson sagen?
Es ist unglaublich gut gelaufen für mich, dass mir so viel Vertrauen vom Trainer entgegengebracht wurde, obwohl wir uns noch gar nicht wirklich lange kannten. Wir haben auch mal darüber nachgedacht, mit zwei Kreisläufern zu spielen, wenn es mal nicht so läuft bei mir. Letztlich haben wir das aber nicht gemacht, weil eigentlich alles sehr gut funktioniert hat.
Ihr mit Abstand wichtigstes Tor war der Ausgleich im Halbfinale gegen Norwegen wenige Sekunden vor Ende, der ihrer Mannschaft überhaupt erst die Verlängerung ermöglicht hat. Haben Sie das in diesem Moment überhaupt realisiert, wie sehr Sie der Mannschaft in diesem Moment geholfen haben?
Im Spiel selber bekommt man das gar nicht so richtig mit. Ich wusste, dass der Winkel eigentlich relativ schlecht war. Wenn ich aber nochmal abgebrochen hätte, wäre es allein von der Zeit sehr eng geworden. Dann habe ich mir den Wurf einfach genommen. Im Nachhinein muss ich sagen: Es war schon besser, dass der Wurf reingegangen ist, sonst wäre es das wohl gewesen! Auf der anderen Seite ist es auch das große Plus in dieser Mannschaft: Selbst, wenn der Wurf nicht reingegangen wäre, hätte mir niemand den Kopf abgerissen. Jeder kann die Entscheidungen treffen und alle stehen hundertprozentig hinter einem.
Gerade in den Momenten, in denen es nicht so lief, wirkte die Mannschaft sehr geschlossen und zog sich selbst aus diesen Tiefs heraus...
Genau! Was in diesen zwei Wochen innerhalb der Mannschaft gewachsen ist, obwohl wir uns untereinander gar nicht so gut kannten bis dahin, ist schwer in Worte zu fassen. Wir waren sehr gerne alle zusammen und hatten einfach Bock, miteinander Handball zu spielen. Wir haben uns aneinander gewöhnt und uns gegenseitig vertraut, deswegen hat das auf dem Feld dann auch so gut geklappt.
In der breiten Öffentlichkeit ist die Begeisterung von Spiel zu Spiel gewachsen. Inwiefern haben Sie das selber in Polen vor Ort wahrgenommen?
Die Euphoriewelle ist auf jeden Fall zu uns herüber geschwappt! Was alleine in den sozialen Medien los war, war unglaublich! Zum Beispiel die Public-Viewing-Veranstaltungen in Kiel oder die Motivationsvideos von "Kretsche" (Stefan Kretzschmar, Anm. d. Red.) - sowas kommt schon an und bringt noch mal einen zusätzlichen Schub.
Im Finale haben Sie in erster Linie eine sehr gute Defensivleistung mit einem überragenden Andreas Wolff im Tor hingelegt. Wie bewerten Sie selbst als Außenspieler das Abwehrspiel beim 24:17 gegen Spanien?
In dem Spiel hat natürlich alles geklappt, was wir uns vorgenommen hatten. Unsere Abwehr war gegen Spanien überragend. Wenn dann mal einer durchgekommen ist, stand noch Andi Wolff hinten drin und hat die Bälle weggenommen. Es war wichtig, den Spaniern direkt von Beginn an zu zeigen: Das wird heute verdammt schwer gegen uns! Irgendwann hatten sie dann auch nicht mehr das Selbstvertrauen, voll in die Aktionen zu gehen. Dies haben wir dann gnadenlos ausgenutzt und die Fehler bestraft. Ich denke, wir haben am Ende auch in der Höhe verdient gewonnen.
Sie haben die meisten Einsatzminuten von allen Feldspielern bekommen und standen jedes Spiel fast permanent auf dem Feld. Welche Rolle haben Sie nach eigenem Empfinden innerhalb der Mannschaft eingenommen in den zwei Wochen?
Ich würde mir eigentlich keine besondere Rolle zuschreiben. Das war ja gerade das Schöne: Jeder im Team hat seinen Teil zum Erfolg beigetragen! Immer wenn die Stammkräfte ausfielen, kam der nächste, der es dann auch super gemacht hat. Da würde ich mir unter dem Strich genau so einen großen Anteil zurechnen wie allen anderen auch.
Knackpunkt im Turnier war auch das Spiel gegen Russland, in dem ihre Teamkollegen Christian Dissinger und Steffen Weinhold verletzt ausschieden. Haben Sie da insgeheim etwas gezweifelt, nachdem zwei der treffsichersten Rückraumspieler auf einmal wegfielen?
Nein, überhaupt nicht! Die beiden waren selbst auch gar nicht so drauf. Die beiden sind ja auch da geblieben und haben so mitgewirkt, als wären sie fit gewesen. Die Nachnominierten (Julius Kühn und Kai Häfner, Anm. d. Red.) haben sofort das Vertrauen bekommen, sodass sie direkt in die Aktionen gegangen sind und sich die Würfe genommen haben, ohne irgendeine falsche Verlegenheit. Was die beiden dann auch gespielt haben, hat man ja gesehen. Das war schon überragend.
Mittwoch geht es mit dem THW Kiel weiter. Was sind da Ihre Ziele in der Rückrunde in der Bundesliga und in der Champions League?
Die Deutsche Meisterschaft wollen wir auf jeden Fall holen. Ich denke, nach dem deutlichen Sieg gegen die Rhein-Neckar Löwen haben wir auch nochmal richtig Auftrieb bekommen. Die Liga ist erst einmal das Wichtigste für uns. In der Champions League muss man schauen. Da ist hinten raus jedes Spiel ein K.o.-Spiel. Wenn es da läuft, können wir auch bis zum Ende durchgehen. Eigentlich ist alles wie immer (lacht).
In einem halben Jahr starten die Olympischen Spiele in Rio – das Ticket dafür ist durch den EM-Titel ja bereits gelöst. Haben Sie da schon irgendwelche Ziele formuliert, auch wenn es noch etwas Zeit ist?
Nein, da haben wir noch gar drüber geredet. Nach der Europameisterschaft war es auch mal schön, einfach den Moment zu feiern. Über Olympia haben wir uns noch gar nicht drüber unterhalten. Selbstverständlich wird das aber auch wieder ein Highlight für uns sein. Jetzt liegt der Fokus aber erst einmal auf der Bundesliga.
Das Gespräch führte Mats-Yannick Roth









