Während McLaren mit seinen zwei Fahrern im Kampf um den WM-Titel gegen Max Verstappen in das entscheidende Rennen der Formel-1-Saison 2025 geht, taucht immer wieder ein Begriff auf: Papaya-Regeln. Der Ausdruck wurde von Teamchef Andrea Stella geprägt. Laut Lando Norris "denkt sich Andreas für verschiedene Dinge gerne verschiedene Namen aus".
Erstmals zur Sprache kam der Begriff am 1. September 2024 vor dem Grand Prix von Italien in Monza. Norris und Oscar Piastri sicherten sich die Plätze in der ersten Startreihe, worauf Stella sagte: "Was die Anfahrt auf die erste Kurve betrifft, so lautet unsere Empfehlung immer, Rennen im Sinne der Papaya-Regel zu fahren".
"Man ist [im Zweikampf] immer vorsichtig mit anderen Fahrern, aber wenn das Auto Papaya ist, muss man noch vorsichtiger sein. Denn wir müssen sicherstellen, dass wir die Zielflagge sehen, insbesondere weil das Auto so konkurrenzfähig ist. Wir versuchen, uns von der Denkweise zu distanzieren, dass mein Hauptkonkurrent mein Teamkollege ist, denn das ist nicht produktiv", so die Worte des McLaren-Teamchefs.
In Monza 2024 fing alles an
In der ersten Runde des Monza-Rennens 2024 überholte Piastri Norris in der Variante della Roggia außen und schnappte ihm mit einem bemerkenswerten Manöver die Führung weg, wodurch sein Teamkollege an Schwung verlor und hinter Charles Leclerc zurückfiel. Das war suboptimal war, da Norris noch eine geringe Chance auf den WM-Titel hatte.
Als McLaren-Boss Zak Brown nach dem Rennen gebeten wurde, die Papaya-Regeln zu erklären, sagte er gegenüber "Sky": "Die Papaya-Regeln lauten: Es ist dein Teamkollege, fahre hart gegen ihn, fahre fair gegen ihn, berühre ihn nicht. Das ist passiert, es war ein aggressives Überholmanöver. An der Boxenmauer war es ziemlich nervenaufreibend. Wir werden darüber sprechen, aber es geht wirklich nur darum, seinen Teamkollegen zu respektieren."
Teamchef Stella antwortete auf die Frage, ob Piastris Manöver den Papaya-Regeln entsprochen habe: "Wir müssen das gemeinsam mit den Fahrern überprüfen, uns die Videos ansehen, ihre Sichtweise verstehen und dann gemeinsam beurteilen, ob sie die Regeln vollständig eingehalten haben oder nicht."
"Wir werden daraus lernen, wenn es etwas zu lernen gibt. Und dann werden wir die Papaya-Regeln so anpassen, dass wir sowohl in der Konstrukteurswertung als auch in der Fahrerwertung bestmöglich aussehen", so Stella.
Was die Papaya-Regeln (nicht) abdecken
Einfach ausgedrückt ging es bei den Papaya-Regeln ursprünglich darum, dass die McLaren-Fahrer nicht miteinander kollidieren sollten.
"Die Papaya-Regeln sind nur eine schnelle Möglichkeit für einen Renningenieur, unsere Fahrer daran zu erinnern, dass wir keinen Kontakt zwischen den beiden Papaya-Autos sehen wollen, dass wir respektvoll fahren und keine Risiken eingehen", musste Stella am folgenden Rennwochenende in Singapur gegenüber Sky klarstellen. Nachsatz: "Das gesamte Thema, wie wir den WM-Titel einfahren wollen, wird von den Papaya-Regeln nicht abgedeckt."
Mit anderen Worten, es ging nicht um Teamorder. Doch genau so wurden die Papaya-Regeln schnell in den Medien und dann auch im gesamten Fahrerlager verstanden, als Piastris mögliche Unterstützung für Norris' Titelkampf 2024 diskutiert wurde. Vor dem Saisonauftakt 2025 verkündete Norris: "Es gibt keine Papaya-Regeln, im Moment gibt es nichts. Wir können frei fahren."
Unklar war, worauf er sich genau bezog. Dann kam es zu einer hitzigen Situation, als Norris beim Grand Prix von Kanada in Montreal mit Piastri kollidierte. "In den kommenden Tagen müssen wir uns damit befassen, was notwendig ist, um sicherzustellen, dass wir beim Rennen die erforderlichen Abstände einhalten", sagte Stella und weiter: "Wir werden Gespräche führen, und diese Gespräche könnten sogar schwierig werden."
Zwei Wochen später kollidierte Piastri beim Grand Prix von Österreich in Spielberg beinahe mit seinem Teamkollegen. Piastris Renningenieur Tom Stallard warnte den Australier über Funk: "Der Kommandostand hat entschieden, dass das Manöver in Kurve 4 zu knapp war. Das dürfen wir nicht noch einmal machen." Dies deutete darauf hin, dass das Manöver nach den Papaya-Regeln zu riskant war, doch Zak Brown bezeichnete es als "epischen Kampf".
Am darauffolgenden Wochenende in Silverstone kam das erste Fairness-Problem auf. Spitzenreiter Piastri erhielt eine 10-Sekunden-Strafe, weil er während einer Safety-Car-Phase unregelmäßig gebremst hatte. "Ich finde die Strafe nicht sonderlich fair. Ich finde, wir sollten die Plätze tauschen", schlug er vor. McLaren lehnte es jedoch ab, eine Teamorder zu erlassen.
Nach dem Silverstone-Rennen räumte Piastri ein, dass ein Platztausch mit Norris "nicht besonders fair gewesen wäre", da "Lando nichts falsch gemacht hat". Der Fall zeigte die zunehmende Belastung für McLaren, wo man versuchte, die nur durch acht Punkte voneinander getrennten Titelanwärter zu managen.
In einem Interview über die englischsprachige Ausgabe von Motorsport.com betonte Piastri in der Sommerpause: "Es wurde immer viel mehr aus den Papaya-Regeln gemacht als sie tatsächlich sind. Es handelt sich tatsächlich um eine einzige Regel, nämlich nicht miteinander zu kollidieren."
Als der Grand Prix der Niederlande in Zandvoort die zweite Saisonhälfte einläutete, da wurde diese Haltung von McLaren-Teamchef Andrea Stella bekräftigt, allerdings mit einer Einschränkung: "Sie können frei fahren, in dem Sinn, dass wir ihnen die Möglichkeit geben wollen, ihr Talent, ihre Fähigkeiten und ihre Ambitionen unter Beweis zu stellen. Dies aber sollte immer innerhalb der Grenzen des Teaminteresses geschehen. Das nämlich steht an erster Stelle, wobei das Teaminteresse je nach Situation unterschiedliche Bedeutungen haben kann."
Platztausch, Kollisionen, Strategiefehler
Tatsächlich gab es am folgenden Wochenende in Monza eine Situation, in der McLaren sein Bestes tat, um die Positionen seiner Fahrer - Norris auf Position zwei und Piastri auf Position drei - zu halten. Weil Norris aber durch einen verpatzten Reifenwechsel zurückgeworfen wurde, wurde Piastri gebeten, ihn vorbeizulassen.
Über Funk äußerte sich Piastri trotzig: "Wir haben gesagt, dass ein langsamer Boxenstopp zum Rennsport gehört, also weiß ich nicht, was sich geändert hat." Nach dem Rennen hatte sich seine Haltung etwas geändert, als er die Anweisung als "faire Bitte" bezeichnete. In Singapur und Austin kam es zwischen den zwei McLaren-Piloten zu zwei Kollisionen, die die Debatte über Teamorder neu entfachten.
Beim vorletzten Rennen der Saison, dem Grand Prix von Katar in Lusail, machte McLaren einen großen Strategiefehler. Während einer Safety-Car-Phase kam man nicht zum Boxenstopp, da man sich unsicher war, wie man vorgehen sollte, ohne einen Fahrer gegenüber dem anderen zu bevorzugen. Piastri und Norris lagen auf den Positionen eins und drei, landeten aber schließlich auf den Plätzen zwei und vier, während Max Verstappen gewann und damit in der WM-Tabelle noch näher herangerückt ist.
In das Saisonfinale am Sonntag in Abu Dhabi geht Norris mit 12 Punkten Vorsprung auf Verstappen und 16 Punkten Vorsprung auf Piastri. Obwohl Letzterer theoretisch frei fahren kann, hat Zak Brown erklärt, dass er gebeten würde, Platz zu machen, wenn es um den Titelgewinn ginge.
"Wir werden das Wochenende so beginnen wie die anderen 23 auch, nämlich indem wir beiden Fahrern die gleichen Chancen geben", so Brown. "Wir werden also unseren gesunden Menschenverstand einsetzen. Wir werden die Fahrermeisterschaft nicht wegen eines sechsten und siebten Platzes, eines dritten und vierten Platzes oder eines fünften und sechsten Platzes wegwerfen. Wenn einer unserer Fahrer keine Chance hat, dann tun wir alles, was wir tun, gemeinsam mit den Fahrern."
"Sie wissen also, wie der Spielplan für dieses Wochenende aussieht. Außerhalb unseres Rennteams ist man ein bisschen verdammt, wenn man es tut, und verdammt, wenn man es nicht tut. Wir werden also einfach unseren Rennprinzipien treu bleiben. Wir wollen die Konstrukteurswertung gewinnen, was wir geschafft haben. Und wir wollen die Fahrerwertung gewinnen. Wir werden sehen, wie das Rennen verläuft", so Brown.
Im Verlauf des Grand Prix von Abu Dhabi werden die Papaya-Regeln, die laut Andrea Stella "je nach Situation unterschiedliche Bedeutungen haben", sicherlich nützlich sein.


