Make German Boxing Great Again. Agit Kabayel ist auf einer Mission, will das Boxen in Deutschland wieder dorthin bringen, wo es einmal war. Schon in der Pressekonferenz für sein langerwartetes "Homecoming" Anfang kommenden Jahres sieht er ein Indiz, dass das gelingen kann. Wegen eines paradoxen Problems wartet auf Kabayel aber kein Gegner aus der ersten Reihe. Sein Manager sieht dennoch einen Weg, um bei Schwergewichts-König Oleksandr Usyk "die Alarmglocken schrillen" zu lassen.
"Schau doch und dreh dich mal um: Wann hast du das letzte Mal eine Pressekonferenz so voll gesehen? Ich glaube, wir sind in Deutschland angekommen", sagte Agit Kabayel gut gelaunt. Influencer Ringlife hatte bei der Pressekonferenz des Boxers am Mittwochabend in Düsseldorf gefragt, ob Sport-Deutschland nach Kabayels beeindruckender Siegesserie in Saudi-Arabien nun endlich wisse, was es mit ihm "für einen Diamanten hat".
In der Tat: Halle 6 auf dem Böhler-Areal in Meerbusch war rappelvoll, hunderte Fans bereiteten dem Schwergewichtler einen begeisterten Empfang, lautstarke "Agit-Agit"-Rufe machten die Runde. Ein Zuschauer fuhr sogar Kabayels Promoter George Warren über den Mund, als der Brite seinen Plan ausrollte, Kabayel in Germany "great" zu machen. "Er ist schon groß in Deutschland, Agit ist der Größte."
Der sympathisch-bescheidene Kabayel würde dies von sich selbst wohl nicht sagen. Sein Ziel indes ist ein großartiges. Der 33-Jährige will auf den Schwergewichts-Thron, als erster Deutscher seit dem legendären Max Schmeling (1930) Weltmeister aller Klassen werden. Mehr noch: Kabayel möchte eine Ära einläuten. Boxen soll in Deutschland wieder so gewaltig sein, wie zu Zeiten Henry Maskes und den Klitschkos – mit ihm an der Spitze, als Galionsfigur, in deren Windschatten weitere Kämpfer nach oben kommen.
Kabayels Wunschkampf gegen Daniel Dubois platzte
Startschuss ist am 10. Januar in Oberhausen, im Ruhrpott, wo der Mann aus Wattenscheid zuhause ist. Zuletzt hatte Kabayel auf den Bühnen von Faustkampf-Mogul Turki Al-Sheikh in Saudi-Arabien geglänzt. Die Zwei-Meter-Hünen Arslanbek Makhmudov (Russland) und Zhang Zhilei (China) hackte er in Riad kurz und klein, den technisch versierten Kubaner Frank Sanchez ebenfalls. "Leberking" nennt sich Kabayel seither, weil er seine Gegner mit Schlägen zum Körper, vorzugsweise zur Leber, demontierte.
Mit seinem K.o.-Triumph über China-Koloss Zhang eroberte Kabayel den Titel als Interims-Weltmeister des Verbandes WBC. Klingt sperrig. Aus dem findigen "boxerisch" der Funktionäre übersetzt heißt das: Er ist bei der Organisation aus Mexiko-Stadt als Pflichtherausforderer von Weltmeister Oleksandr Usyk gesetzt.
Der ukrainische Box-König ist für den Revierkämpfer allerdings noch weit weg. Zum einen macht Usyk (zugleich Weltmeister der anderen Verbände WBA, IBF und WBO) keinerlei Anstalten, seine Krone gegen Kabayel zu verteidigen. Zum anderen übt der WBC bis dato keinerlei Druck auf den Champion aus, dies zu tun. So ist Agit Kabayel ein Herausforderer im Wartestand.
Für sein Heimspiel in Oberhausen wünschte sich der in 26. Profikämpfen unbesiegte "Zwischen-Champion" dennoch "die größtmögliche sportliche Herausforderung". Eigentlich. Denn die Suche nach einem patenten Gegner gestaltete sich zäh. Aus der ersten Reihe kassierte Team Kabayel mehrere Absagen. Das Duell mit Wunschgegner Daniel Dubois kam nicht zustande – obwohl der Engländer den Deutschen öffentlich herausforderte. Obwohl Kabayel bereit war, sein "Homecoming" zu verschieben und auf die Insel rüberzumachen. Obwohl beide Boxer bei der von Promoter-Legende Frank Warren und dessen Sohn George geführten Agentur Queensberry unter Vertrag stehen.
Bei den ersten Gesprächen über den englisch-deutschen Schwergewichtskracher habe Dubois eine Verletzung geltend gemacht, nahm George Warren den Ex-Weltmeister nach IBF-Version auf Nachfrage von sport.de pflichtbewusst in Schutz: "Wir mussten daher weiterziehen und außerdem war es für unsere Beziehung zu Agit und auch für unsere Firmenziele entscheidend, dass wir das Boxen zurück nach Deutschland bringen."
Agit Kabayel trifft auf "Polnischen Husaren"
Am Ende verpflichtete Queensberry den Polen Damian Knyba als Gegner. Der 29-Jährige hat alle seine 17. Profikämpfe gewonnen, 11 durch K.o., und überragt den 1,91 Meter großen Kabayel um zehn Zentimeter. Der übertragende Streaming-Gigant "DAZN" pries Knyba in Düsseldorf als "Rohdiamant des Boxsports". Nun gut, ein bisschen Hype muss im Preisboxen sein. Der Blick auf Knybas Kampfbilanz offenbart indes, dass der "Polnische Husar" noch keinen Gegner von Rang und Namen bezwungen hat.

"Das Wichtigste für Agit ist es, diesen Kampf nicht auf die leichte Schulter zu nehmen", mahnte Warren in seiner Rolle als Promoter. Kabayel nickte – aus Gründen. Sein Trainer Sükrü Aksu verwies im Gespräch mit sport.de auf die eigene Erfolgsgeschichte als Underdog. Auch Kabayel sei "dreimal als Verlierer eingekauft" gewesen als er nach Riad flog. Uns sowieso müsse man im Schwergewicht immer aufpassen, "nicht in so ein Scheißding reinzulaufen".
Der 120-Kilo-Brocken Knyba reist im Januar also mit der im Schwergewichts-Boxen immerwährenden "Puncher's Chance" nach Deutschland, der Hoffnung auf den goldenen Volltreffer. "Ich gehe ganz klar auf den Knockout", machte der Hüne mit den krakenartig langen Armen eine Ansage. Sein Ziel: "Ich will der erste polnische Schwergewichts-Weltmeister werden." Für Kabayel soll Knyba derweil nur ein Zwischenstopp auf dem Weg zum Mount Everest des Boxens sein.
Gewinnt Kabayel, seien die großen Kämpfe gegen die Schwergewichts-Elite in Reichweite, versprach Warren und nannte neben Dubois und Usyk auch den englischen K.o.-Knipser Fabio Wardley, der die Szene jüngst mit einem Sieg über Ex-WBO-Titelträger Joseph Parker erschüttert hat. Für einen Big Fight müsse Kabayel nicht einmal zwingend nach Großbritannien reisen, betonte der 38-jährige Engländer.
"Wie wäre es, wenn ein UK-Kämpfer nach Deutschland kommt, wäre das nicht toll? Das können wir im Sommer aufziehen", sagte Warren und bestätigte Pläne für eine große Boxshow im kommenden Jahr (sport.de berichtete). Unter dem Motto "England vs. Germany" könnten dann englische und deutsche Boxer in einem Fußballstadion in Deutschland gegeneinander kämpfen, mit Dubois und Kabayel in den Hauptrollen – so dachte man bisher angesichts des Vorgeplänkels.
Kabayel-Manager: Dubois kneift
Spencer Brown zweifelt allerdings an Dubois' Kampfesmut. Der britische Manager Kabayels drückte sich im Hintergrundgespräch mit sport.de weniger diplomatisch aus als Warren. Dubois und dessen Trainer hätten einen möglichen Kampf platzen lassen. Sein Landsmann wolle von Kabayel nichts wissen.
Überhaupt sei es schwer, Gegner für seinen Schützling aufzutreiben. "Agit ist der Bogeyman (Schreckgestalt, Anm.d.Red.) des Schwergewichts", betonte Brown: "Er macht unaufhörlich Druck, er schlägt ständig zum Körper. Es ist diese Konstanz, unter der seine Gegner zusammenbrechen. Aber deswegen sind die großen Kämpfe für ihn schwer zu machen, kaum einer will gegen ihn kämpfen. Auch Usyk nicht, er mag es nicht zum Körper."
Die eigene Klasse als Karriere-Bremse – ein paradoxes Problem, das auch "DAZN"-Experte Bernd Bönte sieht. "Agit ist derzeit der beste Body Puncher im Schwergewicht, boxt in der Tradition eines Rocky Marciano oder Joe Frazier", lobte der langjährige Manager der Klitschko-Brüder. Schwergewichtler, die derart offensiv zum Körper schlagen, seien rar. "Die Gefahr ist natürlich groß, selbst getroffen zu werden, wenn man zum Körper schlägt und sich dabei aufmacht", verwies Bönte auf das stilistische Risiko. Kabayel geht es ein. "Ich gehe da hin, wo es wehtut. Das machen nicht viele", sagte der "Holzfäller" (O-Ton Brown) im Februar, nachdem er die chinesische Mauer Zhang mit seinen permanenten Hieben auf Leber, Solarplexus und Rippen zum Einsturz gebracht hatte.
Über Wardley zum WM-Kampf gegen Usyk?
Brown sieht dennoch einen "Pfad" zu einer WM-Chance gegen König Usyk. Zwar hat die WBO den Ukrainer verpflichtet, als nächstes ihren Gürtel gegen Fabio Wardley zu verteidigen. Brown glaubt aber nicht, dass in diesem Kampf genügend finanzielle Anreize für Usyk stecken. Und da Dubois nicht gegen Kabayel kämpfen wolle, "werde ich mit den Leuten von Fabio Wardley sprechen", kündigte der Manager an.
Der Stil des technisch limitierten Mannes aus Ipswich mit der gewaltigen Rechten sei "perfekt für Agit", so Brown. "Wenn er Wardley schlägt, werden auch bei Usyk die Alarmglocken schrillen." Zumal ein Kampf in Deutschland für den Weltmeister durchaus reizvoll sei. "Außerhalb der Ukraine ist die Konzentration an Ukrainern nirgends so hoch wie in Deutschland. Mit diesem Kampf könnten wir hier jedes Stadion ausverkaufen."
Der Weg dahin soll über den geplanten englisch-deutschen Blockbuster führen – gegen Wardley, wenn es nach Brown geht. In Düsseldorf, vielleicht auch im Ruhrstadion des VfL Bochum vor Kabayels Haustür anne Castroper. Auch bei diesem Kampf wäre die Hütte sicher voll.
Apropos volle Hütte. Aus Kabayels Management hieß es am Freitagabend, dass schon 80 Prozent der 15.000 Tickets für den Kampfabend in der Rudolf-Weber-Arena von Oberhausen verkauft sind. "Deutschland hat richtig Lust", ließ George Warren verlauten und sprach schon von einem neuen "Box-Boom in Deutschland". Den Beweis hierfür muss Agit Kabayel allerdings nicht am Hallenschalter erbringen. Sein Kampf gegen Knyba wird auf "DAZN" nur gegen Kauf eines Extratickets im "Pay per View" zu sehen sein.
