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Skispringen Sommer-GP
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Skispringen Sommer-GP

"Fühlte sich so eklig und falsch an"

US-Skispringerin klagt über Materialkontrolle

Die US-Skispringerin Paige Jones kritisiert den Ski-Weltverband FIS offen
Die US-Skispringerin Paige Jones kritisiert den Ski-Weltverband FIS offen
Foto: © IMAGO/Fotostand / Horst Bernhardt
20. August 2025, 22:11

Bei den ersten Sommer-Grand-Prix-Springen im Skispringen war neben dem sportlichen Geschehen auch die Umsetzung des neuen Materialkontroll-Prozederes im Fokus. Nachdem die erste Zwischenbilanz vor allem in Bezug auf Strenge und Einheitlichkeit positiv ausfiel, machte eine US-Skispringerin nun Missstände und Versäumnisse öffentlich.

Mit großem Interesse blickte die Skisprung-Szene vor gut zwei Wochen nach Courchevel zum ersten Sommer-Grand-Prix-Wochenende, schließlich wurde dort erstmals das neue Materialkontroll-Prozedere umgesetzt, das in Folge des Manipulationsskandals im norwegischen Team bei dessen Heim-WM in Trondheim eingeführt wurde.

Trotz oder gerade wegen des harten Durchgreifens und zahlreichen Disqualifikationen an besagtem Wochenende fiel die erste Zwischenbilanz positiv aus. Insbesondere die Verpflichtung des Österreichers Mathias Hafele als Materialexperte vom Ski-Weltverband FIS wurde für gut befunden. "Mathias kennt alle Tricks, das ist klar von Vorteil", sagte Andreas Wellinger unlängst bei einem Pressetermin und erhielt Zustimmung von seinem Teamkollegen Pius Paschke: "Er weiß genau, was er tut und hat unheimlich viel Ahnung von der Materie. Die Vorgaben sind strukturiert, darauf müssen wir uns jetzt einstellen."

Während also die Kontrollen während der Wettkämpfe spürbar besser abliefen, gibt es bei den ebenfalls veränderten Vorab-Kontrollen aber offenbar weiterhin Missstände. So berichtete die US-Amerikanerin Paige Jones im Podcast 'Good Game with Sarah Spain' von höchst unangenehmen Erfahrungen, die sie und ihre Teamkolleginnen machen mussten. Denn anders als in den Vorjahren durchliefen sie die Vorab-Kontrollen nicht unter Aufsicht einer Ärztin, sondern von einem männlichen Mediziner – und das auch noch ohne Vorankündigung.

Frauen ohne Vorwarnung durch männlichen Arzt kontrolliert

Bislang sei immer eine Ärztin im Kontrollraum gewesen, am Wettkampfwochenende in Courchevel aber nicht. "Als wir an der Schanze zu unserem Check-Termin gekommen sind, wurde uns das vom FIS-Personal, das für die Materialkontrolle zuständig ist, mitgeteilt. Vielleicht fünf Minuten vorher", erinnerte sie sich und schilderte: "Der Arzt sagte, er arbeite als Reproduktionsendokrinologe, also in einem Teilbereich der Gynäkologie, aber wir mussten uns vor diesem männlichen Arzt quasi nackt ausziehen."

Bis dato mussten sie und ihre Mitstreiterinnen sich bei der jährlichen Vorab-Kontrolle in Anwesenheit eines Arztes in von der FIS bereitgestellte Unterwäsche kleiden, bevor sie den 3D-Körperscan durchliefen, bei dem dann die Körpermaße festgestellt werden, an denen die getragene Wettkampfausrüstung schließlich angepasst und bei der Wettkampfkontrolle abgeglichen wird.

In Courchevel aber "gab es eine zweite Inspektion, sodass wir unsere Unterhosen ausziehen und mit gespreizten Beinen drei bis fünf Sekunden lang stehen bleiben mussten, während der Arzt uns untersuchte. Sobald er sagte, dass alles in Ordnung sei, zogen wir unsere Unterwäsche wieder an und ließen den 3D-Körperscan durchführen", führte die 22-Jährige aus.

Das FIS-Protokoll sieht vor, dass bei der Kontrolle auch ein Teammitglied anwesend ist – was ihre Co-Trainerin Line Jahr war, eine ehemalige Weltklasse-Skispringerin aus Norwegen. "Ich schätze mich sehr glücklich, dass sie da war, aber andere Nationen haben gar keine Frauen im Trainer- und Betreuerteam, wie die Japanerinnen etwa, die den weiten Weg aus Asien nach Europa machen müssen", bekundete sie.

Sie sei also mit dem Arzt hinter eine Abdeckung gegangen, sodass Jahr zwar mitbekam, wie die Kontrolle ablief, aber nur wenig sehen konnte. Die Situation sei daher nicht mit einer Dopingkontrolle zu vergleichen, wo männliche Ärzte zwar keine Seltenheit seien, "aber dort sind sie nur anwesend und inspizieren nicht deine Genitalien."

Jones: "Illusion von Entscheidungsfreiheit"

Die US-Amerikanerinnen seien zwar vom FIS-Personal gefragt worden, ob sie mit der Kontrolle durch einen Mann einverstanden seien und hätten auch verneint, allerdings sei ihnen dann mitgeteilt worden: "Dann könnt ihr nicht am Wettkampf teilnehmen."

Paige Jones nannte dies "eine Illusion von Entscheidungsfreiheit", die man streng genommen sogar als Verstoß gegen die FIS-Vorschriften werten kann, in denen es heißt: "Das 3D-Körperscan-Protokoll gibt Athleten die Möglichkeit, sich dem Prozedere zu verweigern, wenn sie sich unwohl fühlen, und die Messung zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführen, ohne Strafen oder Konsequenzen."

Hinzu kommt noch, dass den Frauen in den Vorschriften ausdrücklich zugestanden wird, "danach zu verlangen, dass die Messungen von einer weiblichen Ärztin durchgeführt werden."

Im Unwohlsein nach den Geschehnissen und im Bewusstsein über ihre Rechte entschied sich Jones, über den 'Good Game'-Podcast an die Öffentlichkeit zu gehen. "Es fühlte sich so eklig und falsch an, dass ich zu einer erwachsenen Person, der ich vertraue, gehen, und es den Leuten da draußen einfach erzählen musste", begründete sie ihren Entschluss.

Bestärkt habe sie auch, dass männliche Teamkollegen gefragt hatten, ob sie im Vorhinein informiert wurden: "Sie haben uns über unsere Chat-Gruppe gefragt, ob wir das wussten. Es sind also nicht nur wir Frauen, die gefühlt haben, dass es so nicht richtig ist."

Jones erklärte auch, dass man im US-Sport besonders sensibel sei, weil man nach dem Missbrauchsskandal um den ehemaligen Arzt der Kunstturnerinnen, Larry Nassar, "Ärzten grundsätzlich misstraut." Nassar wurde im Januar 2018 wegen massenhaften sexuellen Missbrauchs von Frauen und Mädchen zu 40 bis 175 Jahren Haft verurteilt. Die damalige Vorsitzende Richterin Rosemarie Aquillina sagte bei der Urteilsverkündung: "Sie verdienen es nicht, jemals wieder das Gefängnis zu verlassen. Ich habe gerade Ihr Todesurteil unterschrieben."

Die Skispringerin sorgt sich in diesem Zuge auch um Nachwuchssportlerinnen: "Es gibt schlechte Menschen da draußen und ich glaube nicht, dass das Normalisieren vom Nackt-Sein im Sport eine sichere Sache für sie ist."

Jones appelliert: "Fairness, aber nicht zu Lasten der Frauenwürde"

Sie appellierte daher an die FIS, die Athletinnen in Entscheidungen über Regularien der Wettkampfausrüstung und der Kontrollen miteinzubeziehen: "Zu oft machen sie Entscheidungen für die Männer und übernehmen sie dann 1:1 für die Frauen, was gerade in Anzug-Thematiken unfair ist, da ihre Körper anders als unsere sind, die sich wiederum öfter verändern."

Gegenüber sport.de äußerte sie das Gefühl, "dass wir immer erst der nachträgliche Gedanke sind. Gerade weil wir in der Vergangenheit immer von Frauen beaufsichtigt wurden, hätte man das diesmal auch bedenken müssen." Priorität müsse immer "die Fairness sein, dafür bin ich voll und ganz, aber das darf nicht zu Lasten der Würde der weiblichen Athleten passieren – und schon gar nicht, weil man den vermeintlich leichteren Weg geht."

Die FIS bekundete auf Nachfrage der 'Good Game'-Podcast-Redaktion, dass man die Gefühle und das Unwohlsein der Athletinnen respektiere und das konstruktive Feedback wertschätze und sich deshalb verpflichte, künftig weiblichen Sportlerinnen die Möglichkeit zu bieten, sich von einer Ärztin untersuchen zu lassen."

An diesen Worten, wie auch dass der Respekt für Sicherheit und das Wohlbefinden "nicht verhandelbar" sei, wird sich der Verband nun messen lassen müssen.

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