In Paris wurde Darja Varfolomeev im vergangenen Sommer die erste deutsche Olympiasiegerin in der Rhythmischen Sportgymnastik, zur WM nach Rio de Janeiro (20. bis 24. August) reist die 18-Jährige als Titelverteidigerin in allen fünf Einzelwettbewerben.
Im "SID"-Interview spricht Deutschlands Sportlerin des Jahres 2024 über ihre schwere Anfangszeit in Deutschland, den Schulstress der vergangenen Monate - und sie verrät, beim welchem Actionfilm sie am besten abschalten kann.
Darja Varfolomeev, Anfang Juni, kurz vor der EM, haben Sie Ihr Leistungsniveau bei 40 Prozent eingeschätzt. Nachdem Sie in Dresden fünf deutsche Meistertitel gewannen, waren sie nach eigener Aussage kurz vor der WM schon bei 90 Prozent. Wie haben Sie das in so kurzer Zeit geschafft?
Darja Varfolomeev: Wir haben viel trainiert, und ich bin in der Zwischenzeit mit der Schule fertig geworden. Es war für mich auf jeden Fall leichter, mich nur auf den Sport zu konzentrieren. Ich glaube, deswegen konnte ich auch so einen großen Schritt nach vorne machen.
Sie sind bei den Weltmeisterschaften in Rio Titelverteidigerin in allen fünf Einzelwettbewerben. Kann es für Sie als Perfektionistin ein anderes Ziel geben, als wieder fünfmal Gold zu gewinnen?
Das Wichtigste ist für mich, mein Bestes zu zeigen. Und dann kann ich einfach nur abwarten. Für mich ist es einfach wichtig, dass ich mit dem Stress umgehen kann und gesund bleibe, denn sonst kann ich auch nicht 100 Prozent zeigen.
Sie haben vor kurzem parallel zu den Wettkampfvorbereitungen die Abschlussprüfungen in der Realschule abgelegt. Wie stark hat Sie das im Training eingeschränkt?
Die Schule war immer sehr stressig und hat sehr viel Zeit eingenommen, vor allem im letzten Prüfungsjahr, in dem man richtig gut abliefern will. Ich war sehr auf die Schule fokussiert und weniger als sonst auf das Training und die Wettkämpfe. Das hat auch dazu beigetragen, dass ich in den Wettkämpfen nicht noch bessere Leistungen zeigen konnte.
Varfolomeev: "Die Schule ist eher so eine Muss-Sache"
Was ist Ihnen schwerer gefallen: das Lernen für die Schule oder das Perfektionieren der Wettkampfübungen?
Ich würde sagen, dass die Schule ein bisschen schwieriger ist für mich. Beim Training habe ich richtig Spaß und ich mache das ja nicht, weil mich jemand dazu zwingt, sondern weil mir das gefällt und weil das einfach mein Leben ist. Die Schule ist eher so eine Muss-Sache.
Wie gehen Sie mit Erwartungen von außen um?
Es ist wichtig, dass ich mich auf meine eigenen Erwartungen und auf die meiner Trainerin konzentriere. Diese Erwartungen sind mir wichtig und was andere Menschen denken ... klar, man nimmt es schon ernst, aber ich bin eher so, dass ich mich auf meine Ziele konzentriere, versuche, realistische Erwartungen zu haben - und sie nicht von anderen, die ich nicht mal kenne, abhängig zu machen
Was hilft Ihnen dabei, den Leistungsdruck auszublenden?
Ich rufe gerne meine Familie an. Dann sprechen wir nicht über Rhythmische Sportgymnastik, sondern über andere Themen. Ich gucke auch gerne Filme, zum Beispiel Fast & Furious, da habe ich jeden Film gesehen. Und ich höre gerne Musik, bei der ich mitsingen kann oder gehe draußen spazieren.
Sind Sie durch Ihren Olympiasieg gelassener geworden?
Nein, eher im Gegenteil. Seit dem Olympiasieg will ich umso mehr zeigen, was wir alles trainiert haben, aber natürlich klappt das auch nicht jedes Mal. Die Regeln haben sich geändert und es wird mit jedem Jahr schwieriger.
Olympia 2028 als großes Ziel
Sie sind mit zwölf Jahren ohne Eltern und ohne Deutsch zu sprechen aus Russland nach Deutschland gekommen. Inzwischen sind Sie Olympiasiegerin, mehrfache Weltmeisterin - und trotzdem erst 18 Jahre alt. Fühlen Sie sich manchmal älter?
Dadurch, dass ich schon richtig viel miterlebt habe, denke ich in manchen Momenten schon, dass ich viel älter bin, weil ich einfach schon ein bisschen realistischer denke und genau weiß, was meine Ziele sind. Aber manchmal bin ich immer noch ein kleines Kind. Im Training kann es vorkommen, dass ich mich nicht zusammenreiße und mich für eine Stunde nicht konzentriere, sondern einfach nur Spaß habe und lache. Ich mag es, Blödsinn zu machen.
Was ist Ihnen in Ihrer Anfangszeit in Deutschland besonders schwergefallen?
Am Anfang war es für mich sehr, sehr schwer, weil ich nicht wusste, wie hier alles funktioniert. Ich konnte die Sprache nicht. Auch die Schule war eine Herausforderung, ich habe mich gefragt, wie ich neue Freunde finde. Ich habe mich gefragt, wie das Training ablaufen wird. Und natürlich haben mir meine Eltern gefehlt. Es ist anders, wenn du allein bist und mit allem selbst zurechtkommen musst.
Sie haben in Ihrer Sportart bereits alles erreicht. Was treibt Sie an, weiterzumachen?
Ich habe immer Ziele gehabt und habe sie noch immer. Bis jetzt kann ich mir mein Leben nicht ohne die Rhythmische Sportgymnastik vorstellen. Natürlich wäre es nicht schlecht, wenn sich all die Erfolge nochmal wiederholen, aber dafür muss man wieder ganz hart arbeiten. Die Regeln haben sich geändert. Es gibt viele gute Gymnastinnen, die aufgekommen sind und die noch jünger sind als ich. Natürlich ist das größte Ziel Olympia 2028 in Los Angeles, aber bis dahin kann viel passieren.
