Über weite Strecken der ersten Saisonhälfte 2025 war Maverick Vinales oft die Benchmark bei KTM und hat die beste Performance der vier Fahrer gezeigt. Seit er im Lager der Österreicher ist, präsentiert sich der Spanier immer gut gelaunt, offen und optimistisch. Selbst wenn es Rückschläge wie technische Probleme oder unglückliche Rennsituationen gab, blickt er motiviert nach vorne.
"Wenn man sich sein Profil ansieht - bisher war er nicht gerade einfach im Umgang. Ich erinnere mich an seine Zeit bei Yamaha", sagt Tech3-Teamchef Herve Poncharal im Gespräch mit Motorsport-Total.com. "Er ist niemand, der konstant ablieferte."
"Vergangenes Jahr hat er in Texas gewonnen - und die darauffolgenden Rennen waren schwierig. Seine Leistungen schwankten stark. Also fragte ich mich wirklich: Wie werden wir miteinander auskommen?"
"Wird es eine gute Zusammenarbeit oder eine angespannte Beziehung - so wie bei Yamaha? Das war ein großes Fragezeichen für mich. Aber seit Maverick bei KTM und Tech3 ist - und ich sage das nicht, um ein Märchen zu erzählen - ist es wie ein Traum."
"Ich habe nie zuvor mit ihm gearbeitet. Manche sagen, er ist ein neuer Maverick, ein anderer Maverick. Vielleicht - ich habe den alten ja nicht erlebt. Für mich ist Maverick fantastisch. Als Mensch ist er immer positiv, immer freundlich, immer höflich, kümmert sich sehr um sein Team."
"Wir hatten zwar manchmal Probleme, aber die lagen nicht an ihm. Was ich bewundere: Wenn es ein technisches Problem gibt, kommen manche Fahrer wütend zurück an die Box, schreien, werfen den Helm, zerstören das Boxenmobiliar. Er macht das nie."
"Es war nicht immer leicht seit Saisonbeginn. Aber er blieb immer ruhig", lobt Poncharal. "Er ist ein großartiges Teammitglied. Und er glaubt an das KTM-Projekt - mehr als jeder andere. Ein solcher Fahrer ist ein Traum. Ich glaube - von außen betrachtet - das ist der beste Maverick."
Nach Suzuki, Yamaha und Aprilia ist KTM bereits die vierte Marke, für die Vinales fährt. Diese Erfahrung half ihm auch dabei, sich rascher an die RC16 zu gewöhnen als sein Teamkollege Enea Bastianini. Deshalb entwickelte sich Vinales zur Benchmark.
Auf dem Sachsenring stürzte der Spanier im vom Wetter beeinflussten Qualifying und zog sich eine Verletzung in der linken Schulter zu. Zum ersten Mal in seiner MotoGP-Karriere musste er verletzungsbedingt pausieren. Er musste auch Brünn auslassen.
Pol Espargaro beschreibt: Was Vinales mit der KTM anders macht
In Tschechien sprang Pol Espargaro ein. Der KTM-Testfahrer weiß genau, was Vinales in der ersten Saisonhälfte mit dem Motorrad gemacht hat: "Maverick verwendet ein ganz anderes Set-up als die anderen, und sie brauchten Zeit, um sich an dieses Set-up anzupassen."
"Um die KTM sozusagen zu einem anderen Motorrad zu machen, mit einem Set-up, das Maverick liegt. Es ist eine Frage einer großen Änderung beim Set-up. Und das bedeutet, dass man seinen Fahrstil komplett ändern muss, wenn man dieses Motorrad fahren will."
"Wenn du Maverick beim Fahren beobachtest, siehst du: Er fährt nicht quer - wie zum Beispiel Brad oder Pedro. Er ist mit dem Vorderrad mehr in Linie als mit dem Hinterrad", geht Espargaro ins Detail. "Aber bei seinem Stil spürst du den Vorderreifen weniger."
"Und das macht es für den Fahrer sehr schwierig, wenn man nicht daran gewöhnt ist. Es ist also nicht einfach, einfach umzuschalten und von einem Set-up auf das andere zu wechseln. Aber es ist fantastisch, denn er zeigt uns, dass es einen anderen Weg gibt, mit der KTM schnell zu sein."
Gemeinsam mit seinem Crewchief Manuel Cazeaux, der auch von Aprilia gekommen ist, hat Vinales einen eigenen Weg eingeschlagen, der funktioniert. In Katar kostete ihn lediglich eine Reifendruckstrafe einen Podestplatz.
"Es ist beeindruckend, was Maverick da macht", zollt Espargaro Respekt. "Der Erste zu sein, der etwas entdeckt - das ist immer außergewöhnlich. Er ist der Erste, der mit diesem Set-up schnell ist - und das ist fantastisch."
Der KTM-Testfahrer vergleicht: "Pedro zum Beispiel sitzt sehr stark auf dem Vorderrad und spürt dort viel - so wie ich auch. Aber wenn du Mavericks Set-up verwendest, verlierst du viel Feedback vom Vorderrad."
"Du musst dann extrem sanft mit dem Vorderrad umgehen und ganz saubere Linien fahren. Wenn man Maverick fahren sieht, merkt man: Keine Bewegungen. Pedro hingegen bewegt sich mehr auf dem Motorrad, fährt aggressiver."
"Es ist ein großer Unterschied. Du musst deinen Fahrstil komplett ändern. Die Art, wie du bremst, das Motorbremsniveau, die Drehmomentabgabe, das Gefühl für die Front. Aber das ist das Schöne: Es zeigt, dass es verschiedene Wege gibt, schnell zu sein."
Herve Poncharal: Vinales ist der Captain bei KTM
Als im vergangenen Jahr in Mugello die Weichen im Transferkarussell gestellt wurden, wollte Aprilia-Chef Massimo Rivola, dass Vinales im Team bleibt und nach Aleix Espargaro der "neue Captain" bei Aprilia wird. Vinales entgegnete, dass er das nicht sein wolle.
Stattdessen entschied er sich zum Wechsel zu KTM und wuchs aufgrund seines technischen Feedbacks und seiner Performance in die Führungsrolle. "Er ist der Captain, weil er so viel Erfahrung hat", findet sein Teamchef Poncharal.
"Er hat viele Marken durchlaufen. Und ich kann dir sagen: Aus Gründen, die ich nicht verstehe, war Pedro am Saisonanfang ein wenig verloren - verglichen mit dem, was wir letztes Jahr erreicht haben. Und Maverick hilft allen - auch Pedro -, weil er die Referenz ist."
"Du folgst immer dem Schnellsten. Und Maverick war oft der Schnellste. Das gibt den anderen Fahrern Ruhe und Vertrauen. Maverick ist ein wirklich netter Kerl. Er ist älter als manche - besonders als Pedro. Und er behandelt Pedro wie einen kleinen Bruder."
"Er sagt: 'Ich bin hier, um dir zu helfen. Wir sind keine Gegner.' Also verhält er sich jetzt wie der Captain. Obwohl er das nicht wollte. Aber jetzt verhält er sich wirklich wie ein Captain. Maverick ist aber auch sehr bescheiden und demütig."
"Er würde niemals sagen: 'Ich bin besser als die anderen.' Er sagt: 'Lasst uns zusammenarbeiten. Das ist ein Projekt, das mir gefällt. Aber wir müssen uns gegenseitig helfen. Wir müssen als Team arbeiten.'"
Brünn wurde in Abwesenheit von Vinales zum großen Erfolg für KTM. Acosta und Bastianini fuhren im Sprint auf das Podium, im Grand Prix wurde Acosta Dritter. Vinales hat bis Spielberg Mitte August Zeit, die Schulterverletzung verheilen zu lassen.
