Oleksandr Usyk gegen Daniel Dubois: Am 19. Juli blickt die Boxwelt gebannt nach London, wo die rivalisierenden Schwergewichts-Champions den unumstrittenen Meister aller Klassen ermitteln. Wer hat die besseren Karten? sport.de stellt WBA/WBC/WBO-König Usyk und IBF-Titelträger Dubois im großen 12-Runden-Check gegenüber und erklärt, wer wo Vorteile hat und warum.
Am späten Abend des 26. August 2023 ging Daniel Dubois im Stadion von Breslau nach einer rechten Führhand von Schwergewichts-Weltmeister Oleksandr Usyk in Runde neun zu Boden – und ließ sich unter dem Jubel von tausenden ukrainischen Fans in Polen auszählen.
Während Usyk einen Siegestanz aufführte, schlich Dubois bedröppelt in seine Ecke und verstand die vernebelte Welt um ihn herum nicht.
Vier Runden zuvor hatte Ringrichter Luis Pabon einen seiner knallharten Körperhaken als Tiefschlag gewertet und Usyk eine Pause eingeräumt, statt den Champion anzuzählen. Dubois fühlte sich um einen vermeintlichen K.o.-Coup betrogen. Seither giert der Engländer nach Revanche. Am 19. Juli bekommt er sie, zuhause in London, im legendären Wembley-Stadion, vor 90.000 Briten.
Klar ist: Usyk wird einem anderen Dubois gegenüberstehen als vor zwei Jahren. Der 27-Jährige hat sich seit der Niederlage von Breslau stark verbessert, drei Siege eingefahren, den IBF-Gürtel gewonnen und Superstar Anthony Joshua spektakulär ausgeknockt.
Gelingt es der Premium-Version von "Dynamite" Dubois den ungeschlagenen Schwergewichts-König vom Thron zu stoßen und unumstrittener Champion zu werden? Oder setzt sich Usyk zum dritten Mal in seiner Karriere die Krone als Undisputed Champion der vier großen Verbände WBA, WBC, IBF und WBO auf?
sport.de und das Fachblatt BOXSPORT machen den großen 12-Runden-Check: Von der Physis über die Schlaghärte bis hin zu den vielzitierten "Nehmerqualitäten". Es gilt das 10-Point-Must-System – der Sieger eines Durchgangs bekommt 10, der Verlierer 9 Punkte.
Usyk vs. Dubois - RUNDE 1: Physis
Dubois ist mit seinen 1,96 Meter ein gutes Stück größer als Usyk und rund sieben Kilogramm schwerer. Der Engländer ist außerdem elf Jahre jünger und nähert sich dem Zenit.
Usyk hat bisher noch keine Abnutzungserscheinungen gezeigt, dennoch stellt sich die Frage, ob der Zahn der Zeit nicht doch irgendwann am 38-Jährigen zu nagen beginnt.
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Mehr dazu:
Usyk vs. Dubois, RUNDE 2: Erfahrung
Klare Sache für Box-Veteran Usyk. Der Ukrainer schöpft aus einem Erfahrungsschatz von 350 Amateur-Kämpfen und ist seit zwölf Jahren Preisboxer.
Dubois wurde 2017 nach einer kurzen Amateur-Laufbahn bei den Junioren schon mit 18 Jahren Profi. Zwar hat der Brite einige Kämpfe auf großer Bühne bestritten – auf höchstem Niveau aber lange nicht so viele wie Usyk.
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Usyk vs. Dubois, RUNDE 3: Schlaghärte
Gewiss: Auch Usyk kann hinlangen, wie der Rechtsausleger gegen Tyson Fury eindrucksvoll bewiesen hat. In puncto Power hat er aber das Nachsehen gegen Dubois. "Triple-D" steigt am 19. Juli mit einer K.o.-Quote 95,5 Prozent in den Ring, seine letzten drei Kämpfe gewann er allesamt vorzeitig.
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Usyk vs. Dubois, RUNDE 4: Defensive
Usyk kann einen Gegner "lesen" wie kaum ein Zweiter, ist dank seiner Beinarbeit und seiner Antizipationsfähigkeit nur schwer zu treffen. Wird es doch einmal brenzlig, steht immer noch eine solide Doppeldeckung beim Ukrainer. Dubois hat defensiv Luft nach oben. Der Mann aus London agiert im Oberkörper oft noch zu statisch, bietet nicht selten ein stehendes Ziel.
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Usyk vs. Dubois, RUNDE 5: Führhand
Usyk schlägt einen ausgezeichneten und für den Gegner tückischen Southpaw-Jab. Die rechte Führhand dient dem Edeltechniker als Fintier-Werkzeug, als Fühler, um sich in die richtige Distanz zu schieben, und auch als schmerzhafte "Stichwaffe" zu Kopf wie Körper.
Bei Dubois steht die gewaltige Rechte oft im Fokus – dabei ist der Jab vielleicht sein bester und gefährlichster Schlag. Unter Trainer Don Charles hat der Normalausleger eine vorschlaghammerartige Linke in der Tradition von Joe Louis, Sonny Liston oder Wladimir Klitschko entwickelt, mit der er seinen Kontrahenten schwer zusetzt. Dubois' Jab geht fast schon als Power Punch durch.
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Usyk vs. Dubois, RUNDE 6: Variabilität
Vorwärtsgang, Kontermodus, Finten, "Level Changes" zu Kopf und Körper, dosierte Einzelhände oder schnelle Kombinationen. Usyk beherrscht das komplette Repertoire und mehr. Manch eine Schlagvariation sieht man im Schwergewichts-Boxen so nur vom Großmeister aus der Ukraine. Verglichen dazu wirkt Dubois mit seinem druckvollen Offensivstil fast schon eindimensional.
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Usyk vs. Dubois, RUNDE 7: Beinarbeit
Dubois ist für einen Mann seiner Maße durchaus "gut zu Fuß" zwischen den Seilen, versteht es zudem, einem Gegner "den Ring abzuschneiden".
Die Beinarbeit ist aber eine absolute Usyk-Domäne. Der 38-Jährige ist die Schwergewichts-Version seines zurückgetretenen Landsmanns Vassiliy Lomachenko. Wie einst der leichtgewichtige "Matrix"-Boxer schwirrt auch Usyk um seine Gegner herum und kreiert unerwartete Winkel, aus denen er seine schnellen Hände abfeuert.
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Usyk vs. Dubois, RUNDE 8: Kondition
Wieder eine Usyk-Runde. Der Altmeister hat sich in dutzenden WM-Kämpfen gegen die Elite des Sports als Konditionsmonster erwiesen. Oft legt Usyk in der zweiten Hälfte eines Gefechts noch Kohlen nach und setzt seinen Gegnern – Joshua und Fury lassen grüßen – in den "Championship Rounds" 10, 11 und 12 entscheidend zu.
Dubois präsentierte sich zuletzt stets topaustrainiert – im ersten Duell mit Usyk baute er "hinten raus" allerdings ab. Gegen Usyk erwarten einige Experten, dass dem Muskelberg aus London nach einem Faust-Feuerwerk in den ersten Runden die Luft ausgeht.
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Usyk vs. Dubois, RUNDE 9: Geschwindigkeit
Dubois' Handspeed wird zuweilen unterschätzt, dabei haute er Superstar Joshua mit einer fixen rechten Konterfaust k.o. Auch die Führhand des Briten kommt blitzschnell. Der Geschwindigkeitsvorteil liegt aber naturgemäß beim kleineren Mann. Wohl kein Schwergewichtler schlägt zurzeit so schnelle Hände und Kombinationen wie Usyk.
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Usyk vs. Dubois, RUNDE 10: Psyche
Dubois hat sich nach den schmerzhaften Niederlagen gegen Joe Joyce und Usyk gefangen, trat in seinen letzten Kämpfen wesentlich gefestigter und selbstbewusster auf. Dennoch hängt über der Psyche des IBF-Meisters ein Fragezeichen.
Beim ersten Staredown in Wembley zuckte Dubois jedenfalls als Erster, schubste Usyk unvermittelt weg. Die "Katze" genoss die Szene sichtlich. Usyk ist mental enorm gefestigt, geht seinen Gegnern mit seiner ulkigen, unvorhersehbaren Art unter die Haut. Selbst Mental-Mätzchen-Experte Fury fand in Usyk seinen Meister in Sachen psychologischer Kriegsführung.
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Oleksandr Usyk | Daniel Dubois | |
38 | Alter | 27 |
23 | Kämpfe | 24 |
23 | Siege | 22 |
0 | Niederlagen | 2 |
0 | Unentschieden | 0 |
60,9 Prozent | K.o.-Quote | 95,5 Prozent |
1,90 m | Größe | 1,96 m |
198 cm | Reichweite | 198 cm |
103,1 kg | Gewicht | 110,6 kg |
The Cat | Kampfname | Dynamite |
Usyk vs. Dubois, RUNDE 11: Nehmerfähigkeiten
Usyk hat ein außerordentlich stabiles Kinn, war als Profi noch nie am Boden. Den Weltmeister bringen selbst Volltreffer nicht aus dem Konzept – vielmehr sammelt Usyk sich dann, um seinerseits kontrolliert zurückzuschlagen. Verwundbar wirkt er einzig bei Körpertreffern. Im Hinkampf gegen Dubois ging der Meister in Runde fünf nach einem Schlag knapp unterhalb der Gürtellinie zu Boden.
Dubois hat besonders gegen Filip Hrgovic gezeigt, dass er einen "Bart" hat und schwere Treffer absorbieren kann. In seiner Vita stehen aber auch die vorzeitigen Pleiten gegen Joyce und Usyk sowie drei Bodenbesuche gegen den nicht gerade als K.o.-Experten bekannten Kevin Lerena.
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Usyk vs. Dubois, RUNDE 12: Ring-Dominanz
Wer beherrscht die Ringmitte? Wer trifft, ohne getroffen zu werden? Wer gibt das Tempo vor und kontrolliert die Distanz? Wer hat, was die Amerikaner "Ring Generalship" nennen? Die Antwort: Usyk in deutlich stärkerem Maße als Dubois.
Der in 23 Kämpfen ungeschlagene Champion reüssiert mit dem höchsten Ring-IQ im Schwergewicht, ist fähig, einen Kampf in nahezu allen Lagen zu diktieren.
Usyk ist ein Meister des Distanzgefühls, beherrscht den Vorwärts- wie den Rückwärtsgang, variiert Tempi und Stile verblüffend mühelos. Den Usyk-Code zu entschlüsseln und die Kontrolle über den Ring zu gewinnen – für Dubois die Herausforderung schlechthin.
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Fazit: Usyk ein Favorit auf der Hut
Neun Runden für Usyk, drei für Dubois – macht auf dem sport.de-Punkzettel ein 117:111 zugunsten des Ukrainers. Keine Frage: Usyk steigt am 19. Juli als Favorit in den Ring, ist der erfahrenere und technisch bessere Boxer.
Aber: Dank seiner exzellenten Führhand, seiner Schlaghärte, den körperlichen Vorteilen und seiner Jugend stellt Dubois für den Schwergewichts-König besonders in den ersten Runden eine echte Bedrohung dar.
Ist Usyk vor 90.000 Briten nicht voll auf der Höhe und zeigt sein bestes Boxen, könnte es – auch wegen des Heimvorteils seines Rivalen – eng werden. Dubois wird den Fußball-Tempel Englands vollgepumpt mit Adrenalin betreten und sich im Vorfeld immer wieder an der Erinnerung hochziehen, Usyk 2023 schon einmal zu Boden geschickt zu haben (wenn auch nur durch einen Tiefschlag).